novels4u.com

Life is too short for boring stories

Es war eine merkwürdige Situation, wenn man es pragmatisch betrachtete, in der zwei Frauen, die eben festgestellt hatten, dass sie für die Befriedigung ihrer sexuellen Bedürfnisse und damit für ihre Ganzheit, keines Mannes bedurften, die aber trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, danach trachteten etwas zu finden, was dem Mann Gerechtigkeit angedeihen lassen würde. Denn so leicht wie manche Nostalgieamazonen wollten sie es sich denn doch nicht machen, die der Meinung waren, man müsste nur die Männer abschaffen, und schon wäre alles perfekt. Ihre innere Stimme war anderer Meinung, aber was ist eine Meinung ohne Argumente?

„Es wäre nicht schade ums Patriarchat“, meinte meine Freundin.

„Wer sagt uns, dass es das Patriarchat nicht gäbe, wenn es keine Männer gäbe?“, entgegnete ich, „Denn nur weil man die agierenden Personen austauscht, bedeutet es noch lange nicht, dass es auch zu einem Systemwechsel kommt.“

„Man muss sich nur an die Zeit des Krieges erinnern, zu der alle arbeitsfähigen Männer an der Front waren. Alle Aufgaben übernahmen inzwischen die Frauen, was tatsächlich am System nichts änderte, aber auf jeden Fall zeigte, dass es geht. Wir brauchen die Männer nicht“, blieb meine Freundin beharrlich.

„Definitiv nicht“, gab ich ihr recht, „Aber das gälte umgekehrt genauso. Grundsätzlich kann man nicht umhin zusammenzufassen, dass der Mensch an sich keinen nennenswerten Nutzen hat. Ganz im Gegenteil. Würde die Menschheit, sagen wir mal, für 100 Jahre verschwinden, die Natur würde sich wieder erholen, das Klima und die Tierwelt.“

„Eigentlich eine deprimierende Aussicht“, stellte sie fest.

„Findest Du?“, meinte ich, „Ich jedenfalls finde es ganz und gar nicht deprimierend, eher im Gegenteil, ich halte es für befreiend und entlastend, für den Menschen an sich, so wie für das Verhältnis zwischen Frau und Mann.“

„Was bitte soll daran befreiend oder entlastend sein, wenn man sich eingestehen muss, dass man völlig unnötig und nutzlos ist?“

 

„Keinen Nutzen zu haben, keine Notwendigkeit, bedeutet insofern Befreiung und Entlastung, als dass ich mich nicht daran orientieren muss wie ich zu sein habe, damit ich eben jenen Nutzen, jene Notwendigkeit erfülle, sondern ich kann mich auf das besinnen, was ich sein kann, was in mir steckt und was ich sein könnte, in Bezug auf meine Entfaltung und diese im Miteinander. Ich kann offen sein für Dich, für Dein Eigen-sein und Dein Potential. Ist das nicht wunderbar?“

„Du meinst, wenn ich nicht mehr verkrampft und verspannt bin, weil ich verzweifelt einen Grund für mein und unser aller Dasein suche, sondern entspannt und unverkrampft einfach leben kann, mit mir, mit Dir und mit der Welt?“, fasste sie meine Überlegungen zusammen.

„Genau so habe ich es gemeint“, zeigte ich mich erfreut, mich verstanden zu sehen.

„Aber angeblich zeichnet es doch den Menschen aus, dass er in der Lage ist für sich einen Sinn im Leben zu suchen und zu finden“, fuhr sie fort, was meine Freude ein klein wenig dämpfte.

„Natürlich kann er das“, gab ich ihr recht, „Das Problem sehe ich darin, dass der Mensch meint, wenn Sinn, dann muss das was Großes, Kompliziertes, womöglich Schwer-zu-Erreichendes oder –Erringendes sein, etwas, wofür man kämpfen oder sich versenken oder sich verlieren oder sich gewinnen oder sich finden oder was auch immer muss. Dabei könnte doch die Antwort einfach lauten, ich lebe um zu leben, ich lebe um mit Dir zu leben, in Einklang und in Harmonie, und das Leben, das ich bin und das Du bist ist, um seinetwillen. Das ist der Sinn. Nichts weiter. Leben als Sinn in sich selbst. Das ist alles.“

„Das ist alles?“, fragte sie, um sicher zu gehen, ob sie mich wirklich verstanden hatte, „Wenn das wirklich alles ist, dann hat es schon etwas von Befreiung und Entlastung, etwas von dürfen. Sinn ist Partizipation am Sein. Sinn ist auch Dich anzusehen. Sinn ist, was dem Leben nützt und ihm nicht im Wege steht.“

„Lebendigkeit ist Sinn“, ergänzte ich, „Auch zwischen Mann und Frau.“

„Den Mann nicht zu brauchen bedeutet auch Befreiung und Entlastung?“, fuhr sie fort.

Aus: Weibliche Ohn-machten

6 Gedanken zu “Das namenlose Geschlecht (10): Nutzlos und unnötig?

  1. Wow, das ist mal eine richtig gute Definition: „Sinn ist, was dem Leben nützt und ihm nicht entgegen steht“. So einfach und doch so schwierig, denn jetzt muss man überlegen, was dem Leben nützt. Und welchem Leben es nützt.

    Ich habe mir in meinem letzten Urlaub auch die Zähne an der Sinnfrage ausgebissen und bin zu ähnlichen Überlegungen gekommen: eigentlich braucht das Leben gar keinen Sinn, siehe mein Beitrag von gestern auf sinnlosreisen.

    Danke für diese interessanten Anregungen. Aber bitte lasst die Männer in Ruhe. Wir sind auch nur Menschen 😏

    1. novels4utoo sagt:

      Da bin ich ganz bei Dir. Das Leben ist Sinn an sich und das was Du geschrieben hast, finde ich treffend. Es geht um das Erleben an sich, Begegnungen, die berühren – das verstehe ich unter leben. Natürlich könnte man breit diskutieren, aber ich versuche in der einfachsten Weise wie möglich auf mich und alles Leben in meiner Umgebung zu achten. Ganz wird es nie gelingen. Und ja, Männer sind arme Wesen, weil ihnen immer so viel unrecht getan wird. Frauen übrigens auch. Ich meine mal so, Menschen wird unrecht getan oder nicht. Das ist so.

  2. Ja, genau. Ich halte es immer für problematisch, Schubladen und Pauschalurteile zu verwenden. Männer sind so, und Frauen sind so. Nein, jeder einzelne Mensch hat das Recht, als Individuum beurteilt zu werden.

    1. novels4utoo sagt:

      Genau darauf wollte ich hinaus. Es ist sehr motivierend, verstanden zu werden. Also solltest Du mal nach Österreich kommen (jetzt gerade nicht), einen Cappucino hätte ich für Dich.

      1. Ha ha ha, erwischt. Cappucino wirkt bei mir immer.

      2. novels4utoo sagt:

        War nicht so schwer, muss ich gestehen, ich habe es auf Deiner Seite gelesen.

Kommentar verfassen

Entdecke mehr von novels4u.com

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen