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Life is too short for boring stories

Zwei kleine Häuser, frisch renoviert, nebeneinander gelegen, harrten der neuen Besitzer*innen. Und da näherten sie sich auch schon dieselben, also jeweils die Hälfte beider Paare, genauerhin die weibliche Hälfte. Am Gartentor blickten sie unvermittelt auf und sahen einander an. Die dunkle, großgewachsene Frau mit den wilden Locken und die zarte, blonde mit dem langen, glatten Haar standen da, erkannten einander und fingen unmittelbar an zu lachen. Als das Lachen verebbt war, gingen sie aufeinander zu.
„Ich finde es spannend, dass wir uns hier so begegnen“, sagte die Blonde.
„Das finde ich auch“, meinte die Dunkle.
Was es was, was sie meinten? So unterschiedlich sie auch sein mochten, rein äußerlich, denn mehr wissen wir noch nicht von den beiden Damen, so hatten sie doch eine Gemeinsamkeit, ein voller, runder Bauch, der sich nach vorne wölbte und wirtke, als hätten sie einen Basketball verschluckt.

„Mein Name ist übrigens Nia“, preschte die großgewachsene Frau vor.
„Und ich heiße Sandra“, erwiderte die Zierliche, „Wir werden nebeneinander wohnen. Ich denke, das ist ein gutes Omen.“
„Trinken wir bei mir oder bei Dir einen Kräutertee?“, fragte Nia.
„Fangen wir mal bei mir an“, bot Sandra an.

Und dieses erste Gespräch, das gemeinsame Teetrinken und die Aussicht, dass ihre Kinder ungefähr zur gleichen Zeit zur Welt kommen würden, war der Auftakt zu einer intensiven Freundschaft. Nia erzählte, dass ihre Mutter aus Namibia stammte, sie selbst aber in Österreich geboren worden war. Ihr Mann Michael wäre ein waschechter Österreicher, was auch immer das heißen mochte. Sandra ihrerseits war erst als Baby aus dem Norden Deutschlands eingewandert. Ihr Mann Folke jedoch, den sie über ihre Arbeit als Softwareentwicklerin kennengelernt hatte, war vor einigen Jahren, genauerhin, als sich eine Beziehung zwischen ihnen zu entspinnen begann, aus Schweden nach Österreich gekommen und geblieben. Einstimmig bekundeten sie, dass sie sehr froh wären, diese Häuser gefunden zu haben, nicht zu groß und nicht zu klein, mit einem hübschen Garten, nicht zu groß und nicht zu klein, in einem kleinen Dorf, das dennoch alles bot, was man für den täglichen Bedarf braucht. Und jetzt noch diese Fügung, dass sie nebeneinander wohnen würden. Einige Wochen später kamen die Babies auf die Welt, zuerst Mia, die Tochter von Nia und Michael und drei Tage später Max, der Sohn von Sandra und Folke. Wie segensreich diese Konstellation war, zeigte sich von Tag zu Tag deutlicher, denn die beiden Frauen unterstützten einander bei der Kinderbetreuung, so dass die jungen Eltern immer wieder einen Abend für sich hatten, einmal das eine Paar, einmal das andere. Auch die Kinder waren einander von Anfang an zugewandt. Sobald sie laufen konnten, blieb das Türl, das in den Zaun zwischen den beiden Gärten eingearbeitet war, immer offen. So hatten Mia & Max immer die Möglichkeit einander zu besuchen. Wenn sie spazieren gingen, sah man sie sehr oft Hand in Hand gehen, das dunkelhäutige Mädchen und den hellhäutigen Buben. Alles schien perfekt zu sein.
„Was für eine Schande, dass hier nun auch schon Neger herziehen“, zeterte eines Tages eine alte Frau, „Kommen hierher und leben von Sozialhilfe und dann bekommen sie noch so ein Haus geschenkt. Und unsere Leute müssen schauen, wo sie bleiben. Unterm Hitler hätte es das nicht gegeben.“
Sandra wollte schon etwas erwidern, doch sie fand sich von Nia zurückgehalten, die laut und deutlich zu der Freundin sagte, obwohl die Botschaft eigentlich an die alte Dame ging: „Lass sie nur. Sie versteht es nicht besser. Denn sonst würde sie wissen, dass ich gebürtige Österreicherin bin und immer gearbeitet habe, seit dem Abschluss, und, genauso wie jede andere Steuern zahle, aber das passt nicht in ihr Weltbild. Und was soll uns die Meinung einer Ewiggestrigen.“
„Verdammtes Negerpack“, fühlte sich die Alte doch noch bemüßigt hinzuzufügen, bevor sie ächzend davonschlurfte.
„Willst Du das wirklich so stehenlassen?“, fragte Sandra, die entsetzt war über so viel Hass und Feindschaft gegenüber einem Menschen, bloß weil er eine andere Hautfarbe hatte.
„Ja, weil es nur unnötig Wirbel macht“, entgegnete Nia sanft, „Und ich bin mir sicher, dass es diese Ablehnung unter den Jüngeren nicht mehr gibt.“
Mia & Max auf jeden Fall war es ziemlich egal. Sie mochten einander so wie sie waren. Kinder machen keinen Unterschied. Aber viele Erwachsene tun es, wie sie leider noch erfahren mussten.

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