Es geschah am 21. März, was ich weiß, weil des auch der Welttag des Waldes ist, des Waldes und der Poesie und Frühlingsbeginn. Nicht, dass es eine Rolle spielte, was für ein Tag es war. Es ändert nichts. Es trägt nichts dazu bei. Es verringert nichts. Dennoch hat es sich eingebrannt, in mein Gedächtnis, aber auch nur deshalb, weil es die Erinnerungen wert waren und wert sind, vor allem, da es nicht einfach bloß Erinnerungen sind, wie viele der Photos, die man früher in Alben steckte und heute nicht mehr. Ganz gleich wo sie stecken, die meisten sind nichts weiter als Dinge, derer man sich nach langem Nachdenken eben erinnert. Nichts weiter. Es ändert nicht viel, ob sie nun da sind oder nicht. Doch das Geschehen an jenem 21. März, damals, das ist so präsent, wie das Säuseln des Windes in den Blättern, wenn ich jetzt durch den Wald gehe und denke, Rilke hätte es nicht schöner dichten können. Diese äußere Realität eines Geschehens, eines Datums, eines Ortes, damals, kontrastiert von der inneren, meiner Wahrnehmung und damit Für-Wahr-nehmens, in dem weder Ort noch Zeit eine Rolle spielen, sondern nur die unverhohlene, nackte Präsenz, in die ich mich fallen ließ, weil ich es konnte.
Ich konnte es, weil ich die Tage zuvor in der Wildnis verbracht hatte, im Wald, in den Bergen, wobei ein Zelt als Unterkunft diente und alles, was im Rucksack keinen Platz gefunden hatte, war auch nicht notwendig. Es ist so wenig, was man tatsächlich braucht, wie ich damals feststellte. Es war eine Art der Freiheit, in der ich meine Verbundenheit mit der Natur wiederentdeckte, weil ich Zeit hatte, zu sehen und anzunehmen, auch das Säuseln des Windes in den Blättern und das Heulen der Wölfe, das Zirpen der Grillen und das Flattern der Vögel. Es braucht so wenig an Dingen, zu leben, glücklich zu sein, und so viel an Miteinander. Hätte ich nicht gelernt, in jenen Tagen im Wald, den Bilden und Unbilden der Natur ausgeliefert, das Unwesentliche wegzulassen, loszulassen, so hätte ich mich nicht verlieren können, aus der äußeren Realität eines Datums und eines Ortes, in jene der inneren, in der ich auf Dich zugehen konnte, wie Du auf mich. Es war. Und es ist.
Mit aller sich bescheidenden Pragmatik muss man eingestehen, es gibt diese äußere Realität der zuordenbaren Angaben. Und dann gibt es auch diese andere, die mich lehrt, dass es keine Rolle spielt, was die andere, die äußere, mir zuraunt. Ich kreiere mir eine eigene, ich mir und Du Dir. Es war, dass sie sich trafen, Deine und meine. Alles was nicht von Relevanz war, für Dich und mich, versank. Da war kein Lärm und keine Gespräche, kein Licht und keine Ablenkung, nur Du und ich im Aufeinander-Zu-Gehen. Stimmen verloren sich in der Unhörbarkeit, weil es nichts mehr gab, als Dich und mich. Und selbst das ist schon zu viel gesagt, denn es war nur mehr das Gefühl, von Deinen Armen umschlossen zu sein, die Wärme Deines Körpers an meinem zu spüren und Deine Lippen, die meine fanden. Alles andere hörte auf zu existieren, für eine Weile oder auch länger, denn auch das gehört der äußeren, protokollfähigen Realität an. Was dieser nicht angehört ist, dass ich mich hochgehoben fühlte, emporgehoben, in einen Himmel, der auf Erden ist, in einen Traum, der im Wachen geschieht, in einen Rausch, der nur nüchtern erfahrbar ist und einen Schwindel, der in der Klarheit beheimatet ist.
Und selbst das ließe sich noch abtun, als bloße Erinnerung, wäre es nicht der Moment gewesen, der mich begleitet, seitdem, der mein Leben beleuchtet und mich verführt zu einer Geborgenheit in der Lebendigkeit, zu einem Wachsen in der Verlässlichkeit und zu einem Lieben, das kein Trotzdem oder Aber, sondern nur die Annahme kennt, weil Du mir warst und bliebst, bist und bleibst, als meine Herausforderung zur Lebendigkeit und zur Liebe, weil wir uns in Freundschaft erfuhren und erfahren, in einer Verbundenheit, die den stärksten Stürmen standhält. Und es geschah am 21. März, damals, und es geschieht am 21. März, heute und an jedem einzelnen Tag dazwischen, als etwas Umfassendes und Tragendes. Wie das Säuseln des Windes in den Blättern.
Das Leben literarisch ergründen

Ungezähmt. Anleitung zum Widerstand


Der Weg ist das Ziel ist der Weg
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