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Life is too short for boring stories

Vorsichtig entwand er sich ihrer Umarmung, um sie nicht zu wecken. Doch seine Sorge war unbegründet. Sie rollte sich ein wie ein kleines Kätzchen. Wie ein Engel konnte sie aussehen, wenn sie so dalag in dem spitzenbesetzten, weißen Nachthemd, das er ihr geschenkt hatte. „Nur weil Du nichts Ordentliches hast“, hatte er nicht vergessen dazuzusagen, als er es ihr übergab, und wenn er schon mit ihr übers Wochenende wegfuhr, dann sollte ihr Anblick auch sein Auge erfreuen. Damit erstickte er auch jede Möglichkeit sofort im Keim, dass sie sein Geschenk missverstehen konnte. Frauen neigen dazu. Das wusste er aus eigener leidvoller Erfahrung. Kaum gibt man ihnen den kleinen Finger, schon verschlingen sie einen mit Haut und Haaren, sogar die Veganerinnen. Deshalb hatte er es sich angewöhnt, ihnen sofort reinen Wein einzuschenken über seine wahren Motive. Aber er musste zugeben, es stand ihr ausgezeichnet. Für einen Moment verlor er sich in ihrem Anblick, als er sich endlich wieder darauf besann, dass er etwas zu erledigen hatte.

In der Nacht zuvor hatte sie erwähnt, dass sie Lust auf Eis hätte, unbändige Lust, aber sie hatten so lange geplaudert, dass es keinen Sinn hatte noch ein Eis auftreiben zu wollen, aber jetzt, wo sie noch tief und fest schlief, da wollte er für sie eines besorgen, ein veganes. Das brauchte sie nicht zu wissen. Wenn er zurückkäme, mit einem Eis in der Hand, dann würde er ihr sagen, er hatte Lust gehabt auf einen Spaziergang, den er dann auch machte, und zufällig wäre er gleich um die Ecke an einem Eisgeschäft vorbeigekommen, in dem es noch zufälliger veganes Eis gegeben hatte, und wenn er schon mal da war, hatte er auch genauso gut eines mitnehmen können. So legte er es sich zurecht, während er durch die Straßen lief. Es war ein angenehmer Morgen, der einen ebensolchen Tag versprach, doch er hatte kein Auge dafür, denn es wollte sich partout kein veganes Eis finden lassen. Vielleicht war es auch eine schlechte Tageszeit, aber wenn er sich etwas vornahm, dann machte er das auch, komme was da wolle. Viele Straßenzüge weiter begann er langsam seinen Eigensinn zu überdenken. Normalerweise und vor anderen hätte er diesen als Konsequenz bezeichnet, dabei war es letztlich doch nur Eigensinn. Da kam ihm endlich die rettende Idee. Er bog in den nächsten Supermarkt ein und fand tatsächlich veganes Eis in der Kühlvitrine. Das war zwar nicht ganz das, was er sich vorgestellt hatte, aber sie würde es trotzdem zu schätzen wissen. Und er würde es dennoch nochmals wiederholen, dass das eher so nebenbei passiert war, und sie sich bloß nichts drauf einbilden sollte. Wirklich nichts.

Immer wieder schärfte er sich das ein, bis er endlich wieder beim Hotel anlangte. Das Eis in seinen Händen war noch heil, wie er sich vergewisserte. Zufrieden sah er wieder auf und erstarrte fast selbst zu Eis. Gerade noch konnte er mitverfolgen, wie ein großer, breitschultriger Mann um die Ecke bog, auf den Armen ein lebloses Etwas, das genauso ein Nachthemd trug, wie er es ihr geschenkt hatte. Das konnte nur sie sein. Und er musste mitansehen, wie sie von einem fremden Mann weggetragen wurde, während er das vegane Eis völlig unnötig gekauft hatte. Das konnte er sich nicht gefallen lassen. War auch teuer genug gewesen. Deshalb umfasste er die Eisstiele mit allem Nachdruck und nahm die Verfolgung auf. Die Zeit drängte. Die Sonne gewann immer mehr an Kraft, und das Eis in seinen Händen war unter diesen Umständen nur allzu vergänglich. Kein Mann lässt sich das gefallen, dass ihm so mir nichts Dir nichts die Frau aus dem Bett gestohlen wird – in welchem Verhältnis er zu ihr auch immer steht. Das ist unsportlich. Endlich hielt der Entführer an und legte sie ab, offenbar um die Türe zu einem Verließ aufzuschließen. Er sah seine Chance gekommen. Vorsichtig legte er das Eis ab und versetzte dem Entführer einen festen Tritt, als er gerade die Türe geöffnet hatte, so dass dieser, mit dem Kopf voran, hineinfiel. Rasch schloss und versperrte er die Türe hinter ihm. Mittlerweile war sie wieder zu sich gekommen. Er richtete sie auf der Bank auf und drückte ihr freudestrahlend das Eis in die Hand. Was für ein Glück, dass es noch heil war.

Aus: Weibliche Ohn-machten

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