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Life is too short for boring stories

Vor ein paar Jahren war es, da war ich endlich in der Lage die Brille abzulegen, die mir irgendwann aufgesetzt und festgebunden worden war, die Brille, die das Elend und das Leid ausblendete und mir heile Welt und Unschuld vorgaukelte, auch Vertrauen in die Menschen, die mir das Leben erklärten, so wie sie es sahen. Ich konnte nichts dafür, dass ich die Brille aufgesetzt bekam. Alle bekommen wir unsere eigene Brille, die uns mit der Lüge und der Scheinheiligkeit und der Doppelmoral vertraut macht. Aber ob wir sie aufgesetzt lassen oder sie ablegen, das liegt in unserem Ermessen. Die meisten von uns behalten sie ihr Leben lang. Es ist auch viel einfacher, nicht hinzusehen, denn dann ist man nicht verantwortlich. Werden jene Menschen aufgefordert einmal einen Blick zu riskieren und sie sehen etwas, was nicht in das Bild passt, das ihnen ihre Brille zeigt, dann reagieren sie mit Verleugnung oder Selbstmitleid. Dann setzen sie die Brille wieder auf, ziehen sich zurück in ihre Scheinwelt und sind glücklich darin.

Als ich es endlich wagte über den Rand der Brille hinwegzusehen, zunächst nur das, da bekam ich einen ersten Eindruck. Ich sah das Elend der Massen, einen kleinen Ausschnitt davon. Und ich sah Deine Augen. Ein Ferkel, das den toten Bruder anstupste, eingesperrt in seinen Kerker, neben der bewegungsunfähigen Mutter, wollte es nicht verstehen, dass sein Bruder nicht lebte, sich nicht bewegte. Ein unendlicher Schmerz lag in diesen Augen, die mich trafen und stumm fragten: „Warum tust Du uns das an?“ Ja, das bin ich, die das macht. Auch wenn ich sie nicht eigenhändig eingesperrt habe, so geschieht es doch um meinetwillen. Mit einem Mal brachen all die Lügen und die Scheinheiligkeit und die Doppelmoral um mich herum zusammen. Mein ganzes Leben lang hatte ich dieses Spiel des Versteckens mitgespielt, mich einspannen lassen für die Aufrechterhaltung. Und ich weinte, wie ich noch nie geweint hatte. Als würden die Tränen niemals enden, über das Elend und über die Lügen und meinen Verrat an den Entrechteten. So dass ich die Brille ganz abnahm. Jetzt wollte ich alles sehen, ungeschönt und unzensiert. Ein nie gekannter Schmerz erfasste mich, der mich lähmte. Ich wollte nur noch da sitzen und vor mich hinweinen, weil ich mich so hilflos fühlte. „Du kannst nichts tun“, dachte ich mir, „Du kannst nur dasitzen und heulen.“ Und irgendwann versiegten die Tränen und mit dem Weggang der Tränen, kam die Wut.

Eine unbändige Wut erfüllte mich, über mich selbst und meine Blindheit in erster Linie, aber auch über die der anderen. Aber war es denn tatsächlich so, dass ich nichts tun konnte? Musste ich wirklich hilflos zusehen und die anderen einfach weitermachen lassen? Ich stand auf und wollte den anderen die Brillen abnehmen, dass sie endlich sähen, was ich sah, aber sie wollten sie behalten, dabei bleiben. Es fühlte sich doch so gut an, die Unwissenheit und das Leben, wie man es gewohnt war. Man hatte zu viel zu tun, mit all den Dingen, die man so zu tun hatte. Ablenkung, verkriechen in Nebensächlichkeiten. Und meine Wut wandelte sich in Zorn.

Der Zorn derer, die sich nicht mehr damit begnügt passiv zuzusehen, sondern die Wahrheit hinauszubrüllen, bis sie ankommt, bis sie gehört wird. Und ich merkte, dass es doch noch andere gab, mehr gab, die die Brillen abnahmen, ein paar wenige, aber es war. Der Schmerz begleitete mich seitdem, er zerreißt mich innerlich, der Schmerz darüber, dass das Elend andauert, dass immer noch gemordet und misshandelt und vergewaltigt wird, tausende in jeder Sekunde des Tages. Und mit dem Schmerz, der mich zerreißt, steigt auch der Zorn über so viel Ignoranz und Desinteresse. Während das Hundchen zu Hause zu Tode verhätschelt wird, werden in den Massenmisshandlungsanstalten Millionen zu Tode gefoltert. Es ist überall, omnipräsent. Das Prinzip ist das Gleiche, die Überzeugung, dass ich mit anderen Lebewesen schalten und walten darf, wie es mir passt, dass ich das Recht habe ihnen ihre Freiheit und ihr Leben zu nehmen, nur weil ich es mir so gedacht habe und ich einen Vorteil daraus ziehe. Der Schmerz bleibt und der Zorn, aber ich habe keine Tränen mehr, denn Tränen würden Erleichterung bedeuten, aber so lange es so ist, wie es ist, darf es auch keine Erleichterung geben. Nur den unausgesetzten Einsatz gegen ein System, in dem das Leben nichts gilt und der Tod allgegenwärtig ist. Ein System der Unmenschlichkeit und sittlichen Verwahrlosung. Und da haben Tränen keinen Platz.

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