Ich fühlte mich an diesem Nachmittag besonders beschwingt, denn eine meiner engsten Freundinnen war nach langer Abwesenheit wieder nach Hause gekommen und ich war zum Nachmittagstee geladen. Auf die Minute pünktlich, wofür ich mich sehr lobte, streckte ich gerade den Finger aus, um den Klingelknopf zu betätigen, als schwungvoll die Türe aufgerissen wurde und die Mutter meiner Freundin als Urheberin ausgewiesen werden konnte.
„Ach, wie ist das schön, dass Du da bist!“, begrüßte sie mich auf ihre unnachahmlich herzliche Art.
„Ich freue mich auch sehr“, gab ich bescheiden zurück.
„Aber ich muss gleich wieder weg. Obwohl es mir gar nicht gut geht, ich habe heute so Schmerzen, so untenrum“, meinte sie, und wollte sich schon an mir vorbeischieben, doch mein verdatterter Blick ließ sie stutzig werden.
„Die Füße tun Ihnen weh?“, fragte ich betreten, und auch voller Mitleid.
„Ach Du Süße, immer für einen Scherz aufgelegt, nicht die Füße. Du weißt schon was ich meine. Jetzt muss ich aber wirklich los, und damit stürmte sie an mir vorbei.
Nachdenklich ging ich den altbekannten Weg ins Wohnzimmer. Meine Freundin hatte bereits den Tee bereitgestellt, so dass wir sofort in medias res gehen konnten.
„Warum sagt Deine Mutter eigentlich ‚untenrum’, wenn sie von ihrem Genitalbereich spricht?“, fragte ich gerade heraus.
„Du weißt doch genau, dass diese Teile des weiblichen Körpers immer etwas euphemistisch umschrieben werden“, meinte sie leichthin, als wäre es nicht wichtig, aber mich ließ es einfach nicht los.
„Weil man darüber einfach nicht spricht. Man braucht es einfach nicht, zumindest nicht so offen. Deshalb gibt es auch kaum eine Notwendigkeit für einen Namen. Ich meine, es gibt natürlich genügend, aber Du weißt ja trotzdem was gemeint ist“, erklärte mir meine Freundin leichthin.
„Es gibt viele, aber ich glaube, ich kenne keinen, der es wirklich trifft“, sagte ich, während ich über die verschiedenen Möglichkeiten nachdachte, „Da sind zunächst einmal all diese medizinischen Begriffe Vulva, Vagina und Uterus. Nicht nur, dass es sich sehr nach Krankheit anhört, es sind auch drei Begriffe für etwas, was eigentlich zusammengehört, aber da ist keiner, der alles zusammen nimmt.“
„Was ist mit all den süßen, putzigen Namen. Z.B. Pussi?“, ergänzte sie.
„Du sagst es, putzig. Da entsteht bei mir sofort das Bild eines kuscheligen, kleinen Kätzchens, das sich auf dem Kaminvorsprung zusammengerollt hat. Klar, manchmal zeigt sie ihre Krallen, aber es ist doch sehr harmlos. Das nimmt keiner ernst. Und ich will, dass auch dieser Teil von mir ernst genommen wird.“
„Und was ist mit all den blumigen Namen, wie Lotusblume, Orchidee, Knospe? Die sind doch sehr schön, geradezu poetisch?“, nahm sie einen weiteren Anlauf.
„Schön und poetisch, wie ein Kunstwerk, das man irgendwo in die Ecke stellt, aber nicht im Leben haben will. Es ist alles viel zu weit weg. So leblos und unbrauchbar“, wies ich ihre Vorschläge rundweg ab, „Und es ist trotzdem nichts Verbindendes. Sie meinen alle immer die einzelnen Teile, und niemals das Ganze. Und wenn ich die Teile trenne, dann ist es mir selbst, als würde das alles nicht zusammengehören.“
„Ja, das kann schon sein“, erwiderte sie, „Doch warum ist es Dir offenbar so wichtig etwas gemeinsam zu benennen, was doch auch ohne solch eine Verbindung funktioniert? Würde es irgendetwas in Deinem Leben oder im Leben irgendeiner Frau ändern, wenn wir einen Begriff dafür hätten? Wozu soll das gut sein?“
„Ja, wozu?“, wiederholte ich die Frage und ließ sie mir für einige Minuten durch den Kopf gehen, während ich an meinem Tee nippte.
