„Komm, setz Dich zu mir“, biete ich Dir an, doch Du bleibst unschlüssig stehen.
„Was ist los?“, frage ich deshalb irritiert.
„Es ist so merkwürdig hier“, antwortest Du, Ausschau haltend nach dem, was wohl das Merkwürdige an diesem Ort, an meinem Steg am See, ausmacht, als Du es plötzlich zu benennen weißt.
„Es ist so leise, hier bei Dir“, sagst Du, und ich spüre Deine Verunsicherung.
Es wird immer lauter, immer lauter um uns und in uns. Kaum ein Ort, an dem mehr als zwei Menschen zusammenkommen, wo wir nicht überschüttet werden würden von Geräuschen, nicht in den Lärm gezwungen werden. Ganz gleich ob im Kaffeehaus, in irgendeinem Geschäft, an der Haltestelle, am Bahnhof, überall meint man Lärm machen zu müssen. Manche haben sich so sehr daran gewöhnt, an den Lärm, dass sie, kaum zu Hause angekommen, in die Stille und ins Allein-sein, irgendetwas einschalten müssen, das die Stille, die nicht mehr auszuhalten ist, überdeckt und neutralisiert. Stille, in der ich mich zurückgeworfen finde auf mich selbst und meine Gedanken, die durchbrechen. Stille, als ein Zustand, den es zu meiden gilt. Immer lauter müssen wir rufen, immer eindeutiger und treffender müssen die Worte sein, um überhaupt noch gehört zu werden, Doch wenn Du mich finden willst, dann wird es sein in einer der letzten Oasen, in denen der Lärm verbannt ist und Stille herrscht. Natürlich nicht gänzlich, denn nirgendwo herrscht absolute Stille, doch die feinen, sanften Töne werden vom Lärm überdeckt, die sachten Gedanken, die Laute der Natur und der Schlag des Herzens, des Lebens. Man muss die Stille suchen um dies zu hören. Ich will nicht länger dagegen angehen und den Lärm überschreien. Es ist sinnlos. Der Lärm ist nicht zu überschreien, denn sobald ich es versuche, wird der noch nachhaltiger, als würde man sich gegenseitig hinauflizitieren, wie bei einer Auktion. Umso lauter ich schreie, desto mehr bläht sich der Lärm auf, bis ich an meine Grenzen stoße. Beim Lärm gibt es keine Grenzen. Ich gebe auf. Wenn Du mich hören willst, dann musst Du eine der Oasen der Stille aufsuchen, dann musst Du auch die leisen Töne vernehmen können, denn das Eigentliche, muss sich nicht durch Lärm hervortuen, nicht durch Übertönen. Die Lüge wird nicht weniger Lüge, nur weil sie geschrien wird, und der Wahrheit tut es keinen Abbruch, wenn sie leise gesprochen wird. Sie hat es nicht nötig. Sie muss sich nicht aufplustern, nicht verkleiden und nicht überschminken. Ihr genügt es sie selbst zu sein, und es tut auch nichts zur Sache, ob sie gehört wird, denn die, die es wollen, finden sie auch, in einer der Oasen der Stille. Dort wo Du mich findest.
„Ja, es ist vielleicht leiser als irgendwo anders, irgendwo dort draußen, in der Welt, aus der Du zu mir gekommen bist“, gebe ich zu, „Aber es ist nicht so leise, wie Du vielleicht denkst. Die Nacht ist voller atmender, lebendiger Geräusche, nur sind sie sacht und prostituieren sich nicht, sondern wollen gefunden werden von dem, der sich darauf einlässt.“
„Aber es ist alles so ungewohnt, so verwirrend, so anders“, entgegnest Du, während Du Dich nun doch zu mir setzt.
„Ist es nicht das Herausfordernde?“, frage ich Dich.
„Das Wasser plätschert, der Wind lässt die Blätter rascheln, und waren da nicht kleine tapsende Schritte im Gras. Vielleicht eine Maus …“, fängst Du an zu entdecken.
„Trau Dich, leise“, merke ich an.
„Du hast recht, es gibt so vieles zu entdecken, was ich sonst wohl nie entdeckt hätte, wäre ich verblieben …“, entgegnest Du, Dich langsam einfindend und wohlfühlend.
Das Leben literarisch ergründen

Ungezähmt. Anleitung zum Widerstand


Der Weg ist das Ziel ist der Weg
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