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Life is too short for boring stories

„Hast Du gesehen, ich habe uns ein Dach gebaut, dort neben der Weide, wo wir unterschlüpfen können, wenn wir wollen?“, begrüßte ich Dich in der nächsten Regennacht, und Du wolltest, kamst zu mir unter das Dach und setztest Deine Erzählung fort.

„Die Raben umflatterten mich unruhig, doch ich ließ mich davon nicht beeindrucken. Zu sehr war ich mit den kommenden Ereignissen beschäftigt. Natürlich hatte ich Angst. Immer wieder dachte ich an das arme Mädchen, das sich zu Tode gestürzt hatte. Bald schon könnte ich neben ihr liegen, nur retten konnte ich sie nicht mehr, nicht einmal ihr helfen oder ihr ihr Schicksal erleichtern. Es bestand allerdings auch die Möglichkeit, dass ich der Ausweg für Mochridhe war. Das war meine Hoffnung. So saß ich, die Nacht erwartend, schwankend zwischen Angst und Hoffnung. Aber da war noch etwas anderes, nämlich Neugierde. Wie kann jemand aussehen, der ein Mädchen so weit bringt, dass es nicht mehr leben will? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Was sollte so Besonderes an ihm sein? Und warum glaubte ich ihm? Vielleicht hatte er sich ja alles nur ausgedacht um mich zu ihm zu locken, dass er mich vergewaltigen und dann vom Turm schmeißen konnte. ‚Nein, das tut er nicht’, sagte einer der Raben in meinem Kopf. ‚Verdammt, könnt ihr jetzt auch schon meine Gedanken lesen?’, gab ich erbost zurück. ‚Das konnten wir schon die ganze Zeit. Wir wollten uns nur bis jetzt nicht einmischen, aber jetzt ist es genug. Du kannst ihm vertrauen, oder zumindest dem Teil der Geschichte. Dass Du vorhast ihn zu sehen, das gefällt uns allerdings gar nicht, aber wir dürfen Dich auch nicht zurückhalten, denn Du musst so handeln wie Du es für richtig hältst, auch dann, wenn Du mit offenen Augen in Dein Verderben rennst’, hörte ich nun die Stimme des anderen Raben in meinem Kopf. ‚Was wollt ihr mir damit sagen, in mein Verderben? Sagt was ihr wisst!’, forderte ich sie auf, doch da wurde plötzlich ein Schlüssel in die Türe gesteckt, umgedreht und aufgesperrt. Jemand trat leise ein, eine Gestalt, an der ich nur die Konturen wahrzunehmen vermochte. Dann wurde die Türe wieder versperrt. Langsam stand ich auf und ging auf die Gestalt zu. Sie trug eine Maske, die ihr ganzes Gesicht bedeckte. Nur die Augen und der Mund waren frei. Sein dunkles Haar fiel ihm bis auf die Schultern. Mein Herz klopfte bis zum Hals. Kein Wort fand ich, das angemessen gewesen wäre, und auch er blieb stumm, aber ich konnte noch meine Hände benutzen. So tastete ich die Maske ab und fand eine Möglichkeit sie zu öffnen, die ich auch ergriff. Einmal noch tief durchatmen, dann nahm ich ihm die Maske ab. Ich weiß nicht ob es an der Dunkelheit lag oder einfach nur an mir, aber ich gewahrte einen jungen Mann mit zarten Gesichtszügen. Ja, er war wunderschön, doch ich spürte auch seinen Verlust, seinen Schmerz und seine Verzweiflung, so dass ich nicht der Gefahr unterlag ihn auf ein Podest zu stellen und anzubeten. Er war ein Mensch, so wie ich, der meine Aufmerksamkeit verdiente und mein Mitgefühl, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass ich mich nicht mehr lösen könnte. Mein Herz blieb frei. Ich konnte mich weiterhin entscheiden zu bleiben oder zu gehen. ‚Ich bin froh, dass Du gekommen bist’, sagte ich ruhig. ‚Ich bin froh, dass Du mich eingeladen hast, Morrigan. Eigentlich hätte ich mir Dich ganz anders vorgestellt, viel älter. Deine Stimme, Deine Gedanken klingen so reif’, sagte Mochridhe überrascht. ‚Jetzt bin ich Dir also zu jung. Du siehst mich zum ersten Mal in Deinem Leben, und schon ist Dir was nicht recht. Das kann ja noch heiter werden’, entgegnete ich neckisch. ‚Ich habe das nicht so gemeint’, sagte er zaghaft, aber es ist schön Dich lachen zu sehen’, lenkte er ein. Und da fiel es auch mir auf. Zum ersten Mal seit jener Nacht konnte ich lachen, oder zumindest lächeln. Zum ersten Mal seit jener Nacht gab es einen Ort, an dem ich mich wohl fühlte, jemanden, mit dem ich mich wohl fühlte.“

Und Du bliebst, auch als der Regen gegangen war. In meinen Armen schliefst Du ein. Ich ließ es zu.

Hier gehts zu Teil 12


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2 Gedanken zu “Regen (11): Begegnung

  1. oma99 sagt:

    Was war ich auf diesen Moment der “Geschichte” gespannt – und es hat funktioniert, zumindest in dieser Geschichte…

    Wenn es jetzt auch in der meinen, eigenen Geschichte funktioniert, dann ist die Zeit der winzigen Schritte vorbei und die Zeit des gemeinsamen, steten Voranschreitens nimmt eine neue Dimension an. Bereit zu mehr gemeinsamer Zukunft.

    Wird es in dieser Geschichte hier wohl auch wieder so ähnlich sein?
    Ich bin weiterhin gespannt auf die Geschichte, gibt es eine Fortsetzung?

    1. novels4utoo sagt:

      Es funktioniert nicht nur in Geschichten – wirst sehen. Und ja, es kommen noch vier Teile.

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