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Life is too short for boring stories

„Also das war so, Frau Rat“, begann der Angeklagte Viktor Z. zu berichten, „Ich besuchte mein Stammkaffee um zu frühstücken. Wie jeden Morgen. Da schaue ich mir halt auch immer die Leute an. Das macht doch jeder, Sie doch auch, Frau Rat?“

„Schildern Sie nur die Begebenheiten“, ermahnte ihn die Richterin.

„Jawohl, Frau Rat“, zeigte sich der Zurechtgewiesene betont unterwürfig, „Also, ich seh mir so Leut an, wie ich das immer mache, und da fällt mir dieses Schnittchen ins Auge, also wirklich ein Schnittchen, und so wie sie hergerichtet war, das war doch sowas von eindeutig.“

„Von was für einem Schnittchen reden Sie?“, hakte die Richterin unbeirrt nach.

„Na diese Frau, Sie wissen schon, mit dem Dekolletee und dem Rock und dem Hergerichteten“, versuchte er sich an einer Erklärung.

„Sie meinen mit Schnittchen also eine Frau“, fasste die Richterin zusammen, „Haben Sie nicht den Eindruck, dass dieser Ausdruck etwas Entwürdigendes hat, als wäre eine Frau nichts weiter als eine Cremeschnitte, die Sie gerne vernaschen würden.“

„Was ist es denn sonst?“, zeigte sich der Angeklagte überrascht, „Das ist sie doch auch. Das signalisiert sie ganz deutlich, sonst würde sie sich nicht herrichten, so, wie sie es tat. Das sieht doch ein Blinder mit dem Krückstock.“

„Ich fasse also zusammen, eine Frau ist für Sie ein Stück Backwerk, das nur dazu da ist, vernascht zu werden, sprich von Ihnen in sexueller Art ausgebeutet zu werden“, erklärte die Vertreterin der Rechtsprechung.

„Das stimmt so nicht ganz“, widersprach Viktor Z. zum ersten Mal, wenn auch ein wenig kleinlaut.

„Wie stimmt es dann?“, hakte die Dame in Robe nach.

„Sie sagen, um von mir in sexueller Art, wobei ausgebeutet, das klingt schon böse, nein beglückt, würde ich sagen“, meinte der Angeklagte, „Aber nicht nur von mir, sondern von allen Männern. Ganz anders, als diese Schnepfen, die sich nicht herrichten.“

„Das wird immer besser. Sie sind also der Meinung, dass Frauen nur dazu da sind von Männern beglückt zu werden, z.B. einem, so wie ihnen?“, hakte die Richterin nach.

„Nur, wenn sie hergerichtet sind. Die betteln ja geradezu danach“, präzisierte der, der sich offenbar keiner Schuld bewusst war, „Nicht so wie Sie, Frau Rat, Sie sind ja auch nicht hergerichtet. Sie sind ja sozusagen keine Frau.“

„Na ich danke“, erwiderte diese pikiert, blieb aber sachlich, „Aber was meinen Sie damit, dass sie sich herrichten?“

„Also das versteht ja nun wirklich jeder“, meinte Viktor Z. kopfschüttelnd, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, „Sie schminken sich, um den Männern zu gefallen. Und das gehört auch so. Wohlgefällig soll die Frau dem männlichen Auge sein. Und wenn sie dem männlichen Auge wohlgefällig ist, dann hat sie ihm auch gefälligst zu Gefallen zu sein. Deshalb treibt sie den ganzen Aufwand ja. Ich bin überhaupt der Meinung, dass das gar nicht geht, dass sich Frauen nicht herrichten. Haben wir alles nur dieser verdammten Emanzipation zu verdanken. So eine würde ich nicht mal mit der Beißzange angreifen.“

„Ich fasse nochmals zusammen“, unterbrach die Richterin seinen ermüdenden Redefluss, „Eine Frau, die nicht hergerichtet ist, ist keine Frau und dürfte nicht so herumlaufen. Wenn sie sich herrichtet, dann ist sie zwar eine Frau, hat es aber gefälligst zu dulden, dass sie hinterrücks attackiert wird.“

„Es war ja nicht so“, meinte der Beschuldigte, „Sie hat immer so herübergesehen. Endlich ging sie. Ich natürlich hinterher. Das war eindeutig, was sie wollte. Als erst ging sie langsam und dann immer schneller. Das war ein eindeutiges Signal, dass ich ihr folgen sollte. Dann versuchte sie sich zu verstecken, aber ich mag zwar beleibt sein, aber da konnte ich folgen, und dann wollte ich sie doch nur küssen, ja und vielleicht ist meine Hand ein wenig in ihren Ausschnitt gerutscht, jedenfalls fängt diese dumme Pute zum Schreien an, mir hat es fast das Trommelfell zerrissen und dann tritt sie mich auch noch, in die, na Sie wissen schon, wo es halt weh tut“, fasste Viktor Z. seine Sicht der Ereignisse zusammen.

„Sie meinen also, die Dame wollte von Ihnen sexuell belästigt werden?“, fragte die Richterin erneut.

„Sicher“, erklärte dieser erstaunt, „Schauen Sie, es ist ganz einfach. Eine, die sich herrichtet, will, dass man sie hinrichtet. Eine, die sich nicht herrichtet, will, dass man sie nicht hinrichtet. Daran halte ich mich. Und daraus kann man mir doch wirklich keinen Vorwurf drehen. Jeder Mann auf der Welt versteht das und hält es so.“

Aus: Alles ganz normal. Geschichten aus dem Leben

4 Gedanken zu “Wer sich nicht herrichtet, wird auch nicht hingerichtet

  1. oma99 sagt:

    Eigentlich sollte dies überhaupt kein Thema mehr sein müssen, doch leider – bei allen Fortschritten – ist diese Sicht auf Frauen bei vielen immer noch zumindest in den Grundzügen verbreitet.
    Natürlich würde es kaum jemand so platt bei einem Verfahren herausposaunen, doch herabwürdigende Aussagen gibt es auch heut noch überall, leider.
    Deshalb finde ich diese überdeutliche Darstellung gut. Wer es nicht kapieren will, dem kann eh nicht geholfen werden…

    1. novels4utoo sagt:

      Ich habe den Text geschrieben, weil mir genau so ein Typ untergekommen ist. Ich bin echt aus allen Wolken gefallen. Du möchtest nicht meinen, was Männer (und in dem Fall habe ich es tatsächlich nur von Männern gehört) alles sagen und auch noch glauben. Eigentlich sollte es kein Thema sein. Aber leider ist es immer noch so.

      1. Jesska sagt:

        😮 !!!! Die gibt es wirklich noch so krass?

      2. novels4utoo sagt:

        Oh ja. Sie outen sich zwar nicht so direkt, aber es ist leicht aus ihnen herauszukriegen.

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