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Life is too short for boring stories

Ganz sanft berührte Ontos Schnabel das Gefieder von Logos. Ich hielt sie, spürte das Blut, aber auch die Wärme ihres Körpers und plötzlich wurde ich mir bewusst, dass ihr Herz schlug. Ganz schwach nur, aber eindeutig. Das war es, was Onto mir sagen wollte. Ich musste mich beeilen. So schnell ich konnte ging ich zurück und fuhr zu dem Tierarzt, der schon Onto behandelt hatte. Es ist nicht selbstverständlich, dass sich Veterinärmediziner um Wildtiere kümmern. „Das ist die Natur, da darf man nicht eingreifen“, hatte mir einmal eine weibliche Vertreterin dieses Standes erklärt, und bis zu einem gewissen Grad war ich auch geneigt, ihr recht zu geben, aber eine Schussverletzung. War auch das Teil der Natur, aber diese Diskussion hatte ich nicht, denn hier wurden wir aufgenommen und der Arzt tat alles, was er konnte, um Logos zu helfen.

Wie viel Zeit vergangen war? Ich hätte es nicht sagen können, zu sehr waren wir auf die verletzte Logos konzentriert. Onto saß währenddessen daneben und sah zu. Nicht einen Laut gab er von sich. War einfach da. Es stellte sich heraus, dass der Schuss nicht tief gegangen war.

„Nicht richtig getroffen“, stellte der Tierarzt fachkundig fest, „Wie so oft.“

Wie so oft. Wäre es nicht gerade Logos gewesen, so wäre sie an dieser Stelle auf der Waldlichtung langsam verblutet. Wie viele Tiere wohl angeschossen werden und man lässt sie dann einfach sterben? Ich konnte nicht an den berühmten Einzelfall glauben. Ich sah die kleine Logos an, die nun ruhig dalag. Es war purer Zufall, dass sie diesem Schicksal entgangen war.

„Sie hat sehr viel Blut verloren“, meinte der Arzt, „Ich kann nicht versprechen, ob sie es schafft.“

Sie schlief, als wir nach Hause fuhren und auch den Rest des Tages, die ganze Nacht. Am nächsten Morgen saß sie aufrecht in der Kiste, in die wir sie gepackt hatten. Onto war bei ihr und fütterte sie. Ich setzte mich daneben und sah ihnen zu. Vielleicht ist es zu wenig, einfach das Sein und das Wort zusammenzutun, das Sein muss das Wort unterstützen, so wie das Wort das Sein zum Ausdruck bringt, im Kreis von Annahme und Gabe, Gabe und Annahme bleibend. Und in mir begann die Hoffnung wieder zu wachsen. Nichts konnte den Logos endgültig vom Onto trennen. Sie gehörten zusammen, für ein Rabenleben, für ein Weltenleben und wohl auch darüber hinaus, so lange es Seiendes gibz, dass aus dem Sein existiert und ein Leben, dass dem Sein Ausdruck verleiht und sich dem Seienden voller Staunen und Freude zuwendet. Denn Logos bedeutet nicht nur Wort, sondern auch Weisheit.

Wenige Tage später war Logos so weit, dass sie wieder ihr normales Rabenleben aufnehmen konnte. Immer seltener kamen die beiden auf Besuch, denn ich konnte beobachten, dass das Nest bald darauf neue Bewohner beherbergte, drei kleine Rabenküken, um die sich die Eltern zu kümmern hatten. Das taten sie vorbildlich, denn Raben sind gute Eltern, im Gegensatz zur landläufigen Meinung. Selbst dann, wenn sie befinden, der Nachwuchs wäre nun so weit, das Nest verlassen zu können und die Altvögel sie einfach hinausschmeißen, weil es an der Zeit ist, ihr eigenes Leben zu leben. Vielleicht sollte sich so mancher Mensch daran ein Beispiel nehmen, die Kinder ihr Leben leben zu lassen und sie zur rechten Zeit von sich abzunabeln, statt sie in ständiger unterwürfiger Abhängigkeit zu halten. Und das auch noch unter dem Titel der Liebe, aber Liebe ohne Freiheit kann es nicht geben.

Liebe in Freiheit ist die uneingeschränkte Möglichkeit, sich zu entfalten, getragen von der Sicherheit des Gehalten-seins ohne festgehalten zu werden, einfach zu Sein und die Anderen Sein zu lassen, zugewandt und wertschätzend. Und wenn ich den Beiden, Logos und Onto, zusah, wenn sie sich voller Freude in die Lüfte erhoben, wenn sie spielten und miteinander waren, dann war es, als würde das Leben selbst gefeiert werden, in jedem Moment. Wir sollten uns ab und an ein Beispiel daran nehmen, vor allem dann, wenn wir uns in der Alltäglichkeit der normalen Abläufe verlieren und uns verloren gehen, dann gilt es in den Moment des Feierns zu erwachen, der Feier des Lebens selbst, das in aller Unvergleichlichkeit geschieht, gerade jetzt, einfach so, in gerade diesem Moment.

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2 Gedanken zu “Rabe Onto (8): Leben, das leben will

  1. oma99 sagt:

    Danke, das Logos (über)leben darf – mich berühren die Beiträge und Analogien zu Onto und Logos sehr.

    1. novels4utoo sagt:

      Natürlich lebt sie – ich habe die Hoffnung. Ich hätte auch nicht über Herz gebracht, sie sterben zu lassen, nicht einmal in einer Geschichte. Danke Dir!

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