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Life is too short for boring stories

In zehn Minuten würde es losgehen. Nervös sah er auf die Uhr. Wo sie nur blieb? Der Saal war voll und er musste auf die Bühne, doch er wusste, sie würde es ihm nie verzeihen, wenn er sie nicht begrüßte. Da endlich öffnete sich die Türe und sie schritt, jovial lächelnd, auf ihn zu.

„Hallo Liebling, schön dass Du da bist!“, sagte er, sich bewusst, dass mindestens 30 Augenpaare auf sie gerichtet waren. Routiniert wollte er seiner Frau einen Kuss auf den Mund geben, doch sie flüstere verhohlen, „Nicht doch, mein Lippenstift.“ Dann trat sie einen halben Schritt zurück und musterte ihn von oben bis unten.

„Dir ist schon bewusst, dass das alles nicht zusammenpasst, was Du da anhast“, meinte sie abschätzig, „Bist Du wirklich auf die Idee gekommen, Dich selbständig anzuziehen? Mein Gott, was da rauskommt, wenn ich nicht auf alles schaue. Wirklich, Dich kann man keinen Moment alleine lassen. Und Deine Schuhe passen auch nicht. Die sind noch nicht einmal geputzt …“

Sein Blick und seine Aufmerksamkeit glitten von ihren Lippen weg, hin zu ihrem Hals, genauer auf ihren Kehlkopf. Dann hob er die Arme und legte die Daumen darauf, schloss die restlichen Finger um ihren Hals. Er wollte nur, dass sie den Mund hielt, endlich still war. Tatsächlich versiegten ihre Worte und zuletzt ihr Atem. Schlaff wurde ihr Körper. Behutsam legte er sie zu Boden. Nun war es vorbei mit den ewigen Nörgeleien. Er fühlte sich wie befreit, auch noch, als er auf der Wache saß und der Dinge harrte, die da kommen mögen.
„Hören Sie, warum haben Sie das getan?“, fragte ihn sein Anwalt unter vier Augen, „Leugnen können wir ja schlecht, wenn Sie Ihre Frau in der Öffentlichkeit erwürgen.“
„Was wird mit dem Haus?“, fragte er versonnen.
„Haus? Was für ein Haus?“, erwiderte der Anwalt irritiert.
„Meinem Haus“, entgegnete er knapp.
„Da wird sich schon wer kümmern“, sagte sein Rechtsvertreter.
„Ich muss zu meinem Haus. Es wird sich niemand kümmern, es wird verfallen“, erklärte er stirnrunzelnd, „Wenn ich es dem Richter erkläre, dann wird er es sicher verstehen. Er ist doch auch ein Mann und die meisten Frauen nörgeln. Er wird Verständnis haben.“
„Darauf würde ich nicht bauen“, meinte sein Gegenüber achselzuckend, „Aber warum haben Sie sie nicht einfach verlassen? Stellen Sie sich vor, jeder würde seine Frau erwürgen, nur weil sie nörgelt. Die Hälfte der Frauen wäre ausgerottet, mindestens.“
„Verlassen?“, entgegnete er irritiert, „Dann hätte sie das Haus behalten und ich wäre leer ausgegangen. Nein, das ging nicht.“
„Und so kommen Sie für Jahre hinter Gitter und es kommt aufs selbe hinaus“, meinte der Anwalt.
„Hat Ihnen Ihre Frau ihre Sachen hergerichtet?“, fragte er, während er den Juristen musterte, seinen grauen Anzug, die dezente Krawatte, das hellblaue Hemd.
„Na ja, des Öfteren tut sie das“, meinte dieser ausweichend, „Aber es geht hier nicht um mich, sondern um Sie.“
„Niemals hätte ich mein Haus verlassen, hergegeben“, erklärte er verträumt.
„Sie meinen wohl Ihre Frau“, entgegnete der Zuhörende.
„Die habe ich wohl oder übel in Kauf nehmen müssen“, sagte er ungerührt, „Und jetzt wird es erst recht verfallen. Was für ein Irrsinn. Wie man es auch dreht oder wendet, wenn ich das Haus behalten wollte, musste ich auch sie behalten. Was für eine Tragik. Die Tragik meines Lebens, unserer aller Leben. Man bekommt nichts vom Leben, ohne dass man einen noch viel höheren Preis zu zahlen hat.“
„Aber im Falle einer Trennung hätten Sie Ihr doch das Haus oder ihre Hälfte abkaufen können“, meinte der Anwalt, in all seiner Unwissenheit und Naivität.
„Abkaufen, womit denn?“, erwiderte er stirnrunzelnd, „Sie hat doch das Geld bei uns, und selbst wenn, sie hätte niemals zugestimmt, weil sie weiß, wie sehr ich an dem Haus hänge, aber der Richter, der wird sicher ein Einsehen haben…“
„Sag mal, hörst Du mir überhaupt zu?“, drang ihre Stimme endlich durch seine Gedanken, „Und überhaupt, warum siehst Du ständig auf meinen Hals, sieh mir gefälligst ins Gesicht, wenn ich mit Dir rede.“
„Ja, Liebling“, sagte er, lächelnd und untertänig. Eine verführerische Vorstellung, diese Ruhe, aber es war wirklich ein sehr schönes Haus. Deshalb beschloss er, sich nicht zu etwas hinreißen zu lassen, das ihn von seinem Haus trennen würde und stattdessen sich im Überhören dessen, was sie sagte, zu üben.

Aus: Alles ganz normal. Geschichten aus dem Leben


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2 Gedanken zu “Mordsphantasien

  1. g0gool sagt:

    Wow! Ich bin echt sprachlos über diesen sehr gut geschriebenen Text. Lustigerweise, ich komme wieder auf meine Scheidung zurück, erlebte ich genau das gleiche wie dein fiktiver Mann. Ich wollte nur mit ihr zusammen leben weil wir ein gemeinsames Kind haben. Nur, irgendwann wurde ich genau deshalb unglücklich. Ich wollte, wie der Mann, unbedingt mein Haus bei mir behalten und hatte Angst davor, es zu verlieren. Doch die Angst ist endlich überwunden. Mein Kind wird einen glücklicheren Vater haben und genau das ist es, was zählt. Mein Glück wird in Liebe zu meinem Kind transformiert. Nur dadurch ermögliche ich meiner Tochter ein glückliches Leben. Bitte mehr solcher Texte😊😊😊

    1. novels4utoo sagt:

      Vielen Dank für diesen Kommentar. Ich hoffe, das klingt jetzt nicht zu pathetisch, aber Du sprichst mir wirklich aus dem Herzen. Und ich freue mich für Dich, dass Du diesen Schritt gewagt hast, zum Besten für alle Beteiligten.

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