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Life is too short for boring stories

Anna war unabhängig, sowohl finanziell als auch emotional. Ihr Leben war erfüllt von Tätigkeiten, die ihr nicht nur Spaß machten, sondern diesem – aus ihrer Sicht – auch Sinn gaben, begleitet von guten Freunden, die ihre Ansichten und Wertvorstellungen teilten. Sodass sie es nicht notwendig hatte, zusätzliche Bestätigung zu erhalten, indem sie sich einen Mann an die Seite stellte. Mehr noch, sie hatte weder die Zeit noch die Geduld für einen Mann, der dauerhaft ihr Leben teilte. Andererseits hatte sie Spaß an Sex. Das brachte sie im ersten Schritt in ein Dilemma, denn sie war noch in dem Glauben aufgewachsen, dass es sich für ein anständiges Mädchen nicht gehörte, Sex einfach um den Sex willen zu haben und keine Beziehung anzustreben. Es bestand kaum Aussicht auf eine Lösung dieses Problems, bis zu dem Tag, an dem sie es wagte, sich außerhalb ihres eigenen, eingeschränkten Denkhorizontes zu stellen und sich ihrer selbst bewusst zu werden, als einer unabhängigen und damit auch frei denkenden Frau, die es nicht notwendig hat, sich überkommenen Konventionen zu unterwerfen.

Anna warf den Gedanken über Bord, dass zu guten Sex eine Beziehung gehörte. „Es kann mir keiner verbieten, einfach nur Spaß zu haben, sooft ich Zeit und Lust habe und ansonsten unabhängig zu bleiben“, sagte sie zu sich selbst. Deshalb beschloss sie, sich einen Liebhaber zu suchen. Sie war realistisch genug, um sich einzugestehen, dass man nicht einfach so mit dem Finger schnippt und der geeignete Kandidat stünde da. Damit hatte sie unbedingt recht. Sie kam nämlich nicht einmal dazu, mit dem Finger zu schnippen, sie waren da, sobald sie bereit dazu war und dies auch signalisierte. Es lag wahrscheinlich daran, dass sie authentisch, offen und ungeziert war. Sie hatte es nicht notwendig, sich das Gesicht aufspritzen zu lassen, bis die eigene Wachsfigur echter aussah, als man selbst. Ebenso wenig machte sie auf zickig, wenn er ihren Geburtstag vergaß oder nicht bemerkte, dass sie beim Friseur war. Und am allerwenigsten hatte er zu befürchten, dass er unter ständiger Beobachtung stand. Es gab ihre gemeinsame Zeit und was außerhalb dieser war, das interessierte sie nicht, ebenso wenig, wie es ihn etwas anging, was sie trieb. Es waren schlicht zwei erwachsene Menschen mit einer eindeutigen Vereinbarung. Natürlich blieb es nicht aus, dass der eine oder andere ihrer Liebhaber verheiratet war. Zunächst hatte sie moralische Skrupel, bis sie feststellte, dass es seine Entscheidung war und damit sein Problem. Darüber hinaus war es sogar von Vorteil für sie, weil diese Männer naturgemäß größten Wert auf Diskretion legten, was ganz in ihrem Sinne war. Schließlich ging ihr Liebesleben niemanden etwas an. Und dennoch hatten all diese Beziehungen, so positiv sie für beide Seiten auch waren, ein Ablaufdatum. Das hatte immer denselben Grund.

Anna genoss die gemeinsame Zeit. Meist waren es nur wenige Stunden. Dann zogen sie sich an und gingen zurück, jeder in sein eigenes Leben. So war es vereinbart und so geschah es auch, bis zu dem Tag, an dem sich die Herren der Schöpfung bemüßigt fühlten, sich über die Angetraute zu beklagen. Zuerst hatte es sich Anna angelegen sein lassen, sich die Jammerei anzuhören, weil sie doch nicht herzlos wirken wollte. Bis ihr zwei weitere wichtige Erkenntnisse kamen. Erstens widersprach es der Vereinbarung, die dahingehend lautete, das normale Leben draußen zu lassen und nur Spaß zu haben. Und zweitens war sie die Liebhaberin, nicht Mama und noch weniger Seelentrösterin. Das war nicht ihre Aufgabe. Klipp und klar erklärte sie dem jeweiligen Bettgenossen dann, so einfühlsam wie möglich, dass er seine Probleme mit seiner Frau mit ihr klären sollte und diese hier nichts verloren hätten. Trotzdem war es auch der Moment, in dem sich besagte Herren regelmäßig von ihr abwandten, nicht ohne ihr zuvor vorgeworfen zu haben, sie wäre herrisch und grausam. Das führte zu einer weiteren Erkenntnis.

Wenn eine Frau schon Sex hat, ohne sich mit der Liebe zu belasten, also Sex hat wie ein Mann, dann kann ihr das nur dann verziehen werden, wenn sie sich ansonsten einfühlsam und anteil nehmend und romantisierend zeigte, wie das von Frauen erwartet wurde. Und sie beschloss sich auch diesem Diktat nicht zu unterwerfen. Liebhaber waren schnell einmal gewechselt, denn die Freiheit ihr Leben zu gestalten, wie sie es sich vorstellte und wünschte, war das, was sie wollte und das würde sie sich durch keinen Mann auf der Welt mehr kaputt machen lassen. Aber wer weiß, vielleicht käme eines Tages einer, der genau das mittragen würde. Miteinander zu leben und zu kämpfen. Wer konnte das schon wissen?

Aus: Weibliche Ohn-machten

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