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Life is too short for boring stories

Überall findet man sie. Unzählige Vorhängeschlösser. Auf Brücken. Vor allem. Bis hin zu einer Absperrung bei den Cliffs of Moher kann man sie sehen. Manche sind leer. Andere beschriftet. Namen, ein Datum. Mitunter eine Botschaft. Wie romantisch. Möchte man denken. Eine Besiegelung unserer Liebe. Ein für immer. Man sperrt zu und schmeißt den Schlüssel weg.

Es ist doch so romantisch, ein Versprechen zu geben auf ein Für immer. Nie wird sich etwas ändern, reden wir uns ein, Du mir und ich Dir. Reden uns ineinander ein. Für immer. Groß und unübersichtlich. Man mag daran glauben, darauf hoffen, davon träumen. Und es hat schon was, etwas Verführerisches. Und warum sollte man nicht glauben, hoffen, träumen. Selbst davon, dass wir uns gleich entwickeln, dass wir in tiefer Freundschaft verbunden bleiben und die Liebe uns begleitet, am besten wie am ersten Tag. Es wäre schön. Aneinander zu wachsen. Miteinander das Leben auszufechten. Seite an Seite. Manchmal Rücken an Rücken. Doch es ist nicht festzulegen. Nicht einzufordern. Es wird oder es wird nicht. Das geschlossene Vorhängeschloss verhindert nicht den Ausbruch, nur die Wahrheit. Wir müssen lügen, um es aufrechtzuerhalten. Dabei haben wir uns eingeredet, dass wir ehrlich sind, dass wir uns immer alles sagen. Das geht aber nicht bei einem geschlossenen Schloss. Eingesperrt in einer Zukunft, von der wir nichts wissen, zugesperrt in eine Eventualität, bis diese die ganze Realität einnimmt und nichts mehr denkbar ist, als ich komm da nicht mehr raus. Ob ich will oder nicht. Eine echte Entscheidung kann ich nur dann treffen, wenn ich eine Option habe. Die habe ich aber weggesperrt. Mit mir. Mit unseren Hoffnungen und Träumen. Auch mit dem Glauben.

Das Vorhängeschloss ist zugemacht und der Schlüssel weggeworfen. Rechtsfreier Raum. Menschenrechtsfreier Raum. Ist auch nicht notwendig. Du musst doch nichts vor mir verbergen, wenn Du nichts anstellst. Die Frage der Inquisition. Vielleicht will ich Dir nicht alles erzählen. Oder einfach nur jetzt noch nicht. Vielleicht kann ich Dir nicht alles erzählen. So harmlos es auch sein mag. Einfach deshalb, weil Du mich gänzlich vereinnahmst und Du erwartest, dass sich mein Leben und Lieben ausschließlich um Dich dreht. Es macht mir Angst. Aber ich hatte zugestimmt, dass wir das Vorhängeschloss zumachen und den Schlüssel wegwerfen. Jetzt hast Du alle Rechte über mich. Auch das Recht für jede Minute meines Tages Rechenschaft zu verlangen. Was hast Du getan? Was hast Du gedacht? Was hast Du geträumt? Alles, was Du tust, hat mit mir zu tun zu haben, soll es recht getan sein. Alles, was Du denkst, muss sich auf mich beziehen, soll es gebührlich gedacht sein. Alles, was Du träumst, hat mit mir in Zusammenhang zu stehen, will es anständig geträumt sein. Nichts bleibt von mir, und schon gar keine Liebe, die nicht gedeihen kann, wenn sie in einen lichtlosen Raum gestellt wird. Wie eine Blume, ohne Wasser, ohne Licht. Da sitze ich Dir gegenüber und muss mich erklären. Dafür wie ich schaue, wie ich rede, wie ich wegsehe, wie ich schweige. Mein Leben musst Du sein. Das Vorhängeschloss hat es besiegelt. Der weggeworfene Schlüssel auch.

„Was meins ist, ist nun mal meins“, sagst Du. Gemeint bin ich. Da gibt es nichts daran zu rütteln. Ich habe davon gelesen, dass es sein kann, eine Verbindung, innig und intensiv, die keine Vorhängeschlösser braucht und schon gar keine Schlüssel. Die man sein lässt, Dich und mich sein lässt. Worin es weder Verstellung noch Lüge, weder Besitz noch Inhaftierung gibt. Ich wage es davon zu träumen, von dieser Offenheit, in die ich mich entfalten darf, in der ich mit Dir mehr bin, als ohne Dich, weil Du mich zulässt, in der die Liebe leben darf, unter dem freien Himmel, unter Sonne und Regen und Wind. Es kann sein, habe ich erfahren. Seitdem träume ich davon. Aber Du siehst mich an. Durchdringend, bohrend. Ich habe Angst, Du könntest meine Gedanken lesen von einer Freiheit, die uns zugutekäme, Dir und mir und unserer Liebe. Aber Du würdest es nicht verstehen, würdest beharren auf dem Vorhängeschloss und dass ich Freiheit doch nur wolle, um fremdzuvögeln. Das tue ich sowieso. Es ist auch in Ordnung, so lange niemand davon weiß und die Fassade der Wohlanständigkeit, der kleinen, feinen Bürgerlichkeit, gewahrt bleibt. So stapelt sich eine Lüge auf die andere, weil das das Vorhängeschloss ohne Schlüssel ist und wir keine andere Wahl haben.

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2 Gedanken zu “Zugespert – Eingesperrt – Weggesperrt

  1. oma99 sagt:

    selbst sein und sein lassen – gelassen werden und lassen.
    erinnert mich an Abschnitte meines Lebens und, ganz wichtig, an eine Beziehung, die über 10 Jahre so funktioniert hat, genau deswegen besonders gut funktioniert hat. Offen und freiwillig im Bewusstsein des Möglichen. Erst als eine anfing, mich nicht mehr sein zu lassen undich dachte es hinnehmen zu müssen – weil es denn so war… erst dann begann der Weg auseinander, nach weiteren 8 Jahren im Aus endend.

    Es war sehr lehrreich und so benötige ich auch kein Vor- und Weghängeschloß.
    Du auch nicht, wünsche ich Dir, mir, Uns.

    Danke für Deinen Text.
    Nadine

    1. novels4utoo sagt:

      Nein, keine Schlösser und keine Barrieren, sein lassen, werden lassen, atmen, frei sein und sich angenommen wissen. So soll es sein. Ich danke Dir! Alles Liebe, Daniela

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