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Life is too short for boring stories

„Du kannst doch nicht!“, hätten viele andere gesagt, viele, die ich kenne und die sich selbst wohl nicht als schlechte Menschen bezeichnen würden. Ganz im Gegenteil, sie würden sich als moralisch integer ansehen. Schließlich schlugen sie ihren Partner nicht, waren nicht alkoholkrank und raubten auch keine Handtaschen. Moralisch integre Menschen, in ihrem Verständnis, die ihr Leben an dem ausrichteten, was ihnen gelehrt, gesagt und vorgelebt wurde. So musste und muss es richtig sein. Und eben jene würden sagen, „Du kannst doch nicht, auf Deiner eigenen Veranstaltung. Kümmere Dich um Deine Gäste, nicht um irgendeinen dahergelaufenen Hund!“

In dieser Runde, bei dieser Veranstaltung sagte das niemand. Es hätte überall passieren können und es passiert auch überall, immer wieder. Nur wie sich die Menschen, die in diesem Moment sind, verhalten, das ist unterschiedlich. Wenige würden den Anforderungen des Jetzt folgen. Vielleicht würden sie gerne, aber sie schaffen es nicht, diese Stimmen in sich zu eliminieren, dass das gute Benehmen wichtiger ist, als zu helfen. Und dann, dann sagen sie, ich kann ja nichts tun. Wenn sie was tun können, dann lassen sie es einfach. Sie haben immer eine Ausrede. Nicht zu helfen, nicht einzugreifen, nicht da zu sein. Mehr noch, sich wegzudrehen, nicht zu sehen, nicht wahrzunehmen. Und letztendlich sagen sie noch, „Das hätte doch jeder so gemacht.“ Sicher, jeder, den sie kennen, denn man umgibt sich nur mit Menschen, die gleich denken und bereit sind, einem zu bestätigen, dass man richtig gehandelt hat, einfach indem man gar nichts tut. Sind auch schließlich die anderen dafür zuständig. Nicht ich.

Und dann gibt es die Menschen, die wenigen, die nicht danach fragen wer nun zuständig ist oder die behaupten, dass doch eigentlich die Behörden oder sonst wer was machen muss, alle, nur nicht sie, sondern die dem Gebot des Moments folgen und einfach tun.

Es war solch ein Mensch, einer von der zweiteren Sorte, die sie sah, die Hündin, die alleine neben der Straße auftauchte, mitten in der Nacht. Eine Hündin, gut genährt, mit schwarzem, glänzendem Fell und einem silbernen Halsband. Sie hatte ein zu Hause, aber dort war sie nicht. War sie davongelaufen? Hatte sie sich verirrt? Es stand zu befürchten, dass sie auf die Straße lief und überfahren wurde. So dass man alles daran setzte ihr Vertrauen zu gewinnen. Misstrauisch war sie, beinahe ängstlich. Die Köstlichkeiten, die man ihr präsentierte, waren verführerisch. Immer wieder kam sie näher um sich etwas zu holen, aber sobald man die Hand ausstreckte, versuchte ihr Halsband zu fassen, um eine Leine daran zu hängen, wich sie zurück. Mit viel Geduld gelang es. Sobald sie die Leine umgelegt hatte und mit ins Haus genommen wurde, war sie zugänglich, verspielt und neugierig. Ein junger Hund war sie noch.

Dann wurden die Behörden verständigt. Die Polizei kam und meinte, sie müsse ins Tierheim, über Nacht. Es war schwer jemanden zu erreichen, im Tierheim, obwohl es dort einen Nachtdienst gab. „Behaltet doch die Hündin bis morgen. Dann sehen wir weiter“, erklärte eine unwillige Dame. Man konnte nicht bis morgen warten. Diese Hündin musste nach Hause. Es ist so ermüdend über solche Selbstverständlichkeiten reden zu müssen. Es muss jetzt passieren, genau jetzt, nicht irgendwann. Letztendlich blieb ihr nichts anderes übrig. Zum Glück war die Hündin gechipt, so dass die Besitzerin schnell ausfindig gemacht werden konnte und der Vierbeiner nach Hause gebracht werden konnte.

Es war gut, dass sie wieder da war, wo sie hingehörte, gut, dass sie nicht mehr alleine auf der Straße herumstromerte und all den, damit verbundenen, Gefahren ausgesetzt war. Und doch blieb jene, die es getan hatte, eine Ausnahme, denn wie viele andere sehen einfach weg. Weil es sie nichts angeht. Weil sich die anderen kümmern sollen. Weil sie keinen direkten Auftrag dafür und überhaupt, genug eigene Probleme haben, nichts tun können, meinen sie, während sie mit Bier oder Prosecco vor dem Fernseher sitzen. Nein, da kann man natürlich nichts tun.

Es gibt aber auch diese anderen, die nicht fragen, nicht diskutieren, nicht zerreden, um dann letztendlich erst einfach sitzen zu bleiben und nichts zu tun, so dass sie hinterher sagen können, sie hätten eh nichts tun können. Natürlich können wir. Diesmal war es eine Hündin, das nächste Mal ein verängstigtes kleines Mädchen, das offensichtlich verprügelt oder eine Frau, die vergewaltigt wurde. Es gilt zu tun, jetzt und hier, dem Gebot des Moments zu folgen.

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2 Gedanken zu “Das Gebot des Moments

  1. anyone100 sagt:

    Wie unglaublich gut geschrieben !!!!!

    1. novels4utoo sagt:

      Das freut mich. Danke Dir!

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