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Life is too short for boring stories

„Aber damit das nicht mehr passiert, möchte ich nachsehen.“, sage ich im einschmeichelndsten Ton, der mir möglich ist. Das scheint sie zu überzeugen. Auf jeden Fall tritt sie zur Seite und lässt mich eintreten. Sie geleitet mich zur hauseigenen Bibliothek. Vorsichtig öffne ich die Türe und erstarre. Vom Boden bis zur Decke, alle Wände voller Bücher. Ich bin wirklich vom Regen in die Traufe geraten, aber da, ein Lichtblick: Mitten im Raum, umringt von all der ehrwürdigen Literatur, steht ein PC. Ich stürze mich darauf.

„Nein, nein,“, reißt mich eine dünne Stimme aus meinen Hoffnungen, „das darfst Du nicht. Das Lexikon steht dort oben.“ Beklommen folge ich mit den Augen der Richtung, die mir der kleine Arm weist. Ganz oben stehen die Lexika, meterlang. Seufzend greife ich mir die Leiter und steige nach oben, greife mir den Band K um die Situation doch noch für mich zu nutzen, doch sofort ertönt Protest von unten, „Das ist der falsche Band. Dort drüben steht der richtige.“ So nahe vor dem Ziel, du dennoch stelle ich den Band K wie Knurx gehorsam an seinen Platz zurück und nehme stattdessen den Band E, „existentiell,“, lese ich vor, „auf das unmittelbare und wesenhafte Dasein bezogen, daseinsmäßig.“

Unerbittlich fragt die kleine Stimme weiter: „Und was heißt das jetzt?“

„Nun ja,“, will ich stotternd erklären … „Dich in Deinem Innersten betreffend.“, befreit mich eine Stimme aus meiner Verlegenheit, eine tiefe, ruhige Stimme. Vor lauter Dankbarkeit über die erlösende Erscheinung des Professors vergesse ich beinahe, dass ich immer noch auf der Leiter stehe. Fast wäre ich ihm zu Füßen gefallen.

„Ach Du hast gemeint, dass es wichtig ist.“, lässt sich die Kleine wieder vernehmen, „Warum hast Du das nicht gleich gesagt?“

Ich übergehe diese unqualifizierte Frage geflissentlich.

„Herr Professor,“, wende ich mich an den ehrwürdigen Herrn, „ich komme zu Ihnen mit einer äußerst dringlichen Frage.“

„Es ist zwar eine höchst merkwürdige Art in mein Haus einzudringen,“, wobei er seine Aussage mit einem höchst abschätzigen Blick begleitet, „aber wenn Sie schon mal hier sind, dann fragen Sie.“

„Sagen Sie mir, Herr Professor, was ist ein Knurx?“, kann ich meine Frage endlich loswerden. „Bitte was?“, fragt er verwirrt.

„Schlicht ein Knurx.“, gebe ich zurück. Ich beginne misstrauisch zu werden.

„Knurx,“, überlegt er, „vielleicht eine Abkürzung … ist mir das nicht in einer Publikation letztens untergekommen … nein, oder …“.

„Papi!“, mischt sich die Kleine ein, „Papi“, und zieht ihn am Rockschoß.

„Nicht jetzt.“, gibt der Vater zurück, „Ich muss nachdenken.“

„Aber Papi …“.

„Ich sagte, nicht jetzt, ich muss nachdenken.“, und wieder mir zugewendet, „Ich muss gestehen dieser Fachterminus ist mir – und es muss einer sein, dessen bin ich mir sicher – gerade nicht gegenwärtig, aber ich werde einen Fachkollegen konsultieren.“ Peinlich berührt darob mir keine Auskunft geben zu können, ja bei einer Wissenslücke ertappt worden zu sein, greift er zum Telefon.

„Herr Kollege,“, beginnt er, „es ist Ihnen sicherlich bekannt was ein Knurx ist. Können Sie meinem Gedächtnis auf die Sprünge … aber Herr Kollege, Knurx. Ich glaube mich zu erinnern, der Terminus … gut, sehen Sie nach.“ Ein wenig scheint er beruhigt, da der Kollege auch nicht Bescheid weiß.

„Aber Papi,“, bleibt die Kleine beharrlich, doch der Herr Professor hat jetzt kein Auge für sie. „Aha, ich verstehe eine Sache von höchster nationaler Bedeutung, eine Geheimsache. Ich danke Ihnen.“ Damit legt er den Hörer auf und wendet sich wütend zu mir: „Sie, Herr, wie kommen Sie zu Nationalgeheimnissen? Die Polizei wird kommen – Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen.“, unterbindet er meinen Einspruch, „Dann können Sie alles erzählen. So lange werden Sie mein Gast sein.“ Als ich weggeführt werde, höre ich noch hinter mir ein leises, „Aber Papi, das ist doch alles ganz anders. Es weiß doch wirklich jeder was ein Knurx ist …“

Nach einem zweistündigen Verhör, und der lapidaren Feststellung, dass ich wohl nur geistig verwirrt wäre, werde ich in die Obhut meiner Frau übergeben. Gott sei Dank, endlich zu Hause. Ich lasse mich auf das Sofa fallen, erschöpft, ausgelaugt. Meine Tochter läuft an mir vorbei.

„Nathalie,“, wende ich mich kleinlaut an sie, „sag mir bitte was ein Knurx ist.“

„Aber Papi,“, sagt sie etwas abschätzig, „was ein Knurx ist, das weiß doch wohl jeder. Ein Knurx ist jemand zum Liebhaben.“

An diesem Abend fand meine Tochter eine kleine Botschaft auf ihrem Kopfpolster: „Du bist mein Knurx.“

Aus: Alles ganz normal. Geschichten aus dem Leben


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2 Gedanken zu “Was zum Teufel ist ein Knurx? (4)

  1. Du Knurx, Du…

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