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Life is too short for boring stories

Der Buschauffeur nennt mir den Preis. Ich beginne meine Taschen zu durchsuchen. Hinter mir ist ein deutliches Murren der Einsteigewilligen zu vernehmen, als eine Hand von hinten nach vorne gestreckt wir und etliche Münzen klimpern.

„Ich zahle für den jungen Mann mit.“, sagt eine, offensichtlich zur Hand gehörige, Stimme. Ich drehe mich um. Eine ältere Dame im eleganten Kostüm lächelt mich mitleidig an. „Warum tun Sie das?“, frage ich sie, nachdem ich meine Verwirrung einigermaßen überwunden habe.

„Weil Sie“, antwortet sie höflich, aber mit einem unübersehbar spöttischen Blick auf mein Äußeres, „offensichtlich kein Geld haben, und mir kommt es auf die paar Euro nicht an.“, und damit schlängelt sie sich grazil an mir vorbei, um in einer der hinteren Reihen Platz zu nehmen.

„Wie kommen Sie darauf?“, murmle ich noch als ich an mir heruntersehe. Ich möchte bei diesem Anblick fast selbst Mitleid mit mir bekommen. So wie ich war, in Hausanzug, Pantoffeln und der unübersehbaren Schokoriegel-Spur, die meine Tochter an mir hinterlassen hat, war ich aus dem Haus gelaufen. Ich musste wirklich einen beklagenswerten Eindruck machen. Aber ich habe keine Zeit länger darüber nachzudenken, denn der Bus fährt schon los. Wo fährt er eigentlich hin? Er wird schon irgendwo hinfahren, und dort, wo es mir günstig erscheint, dort werde ich aussteigen, lege ich mir meine Vorgangsweise zurecht. Erschöpft lasse ich mich in einen Sitz niedersinken. Ich bin gerade daran einzudösen, als mir die Frage aller Fragen durch den Kopf schießt und mich aufschrecken lasst: Was ist ein Knurx? Die Frage aller Fragen, und er Auslöser für das ganze Desaster. Der Bus fährt und ich sehe aus dem Fenster. Was für ein eigenartiges Gefühl sich nicht auf den Verkehr konzentrieren zu müssen, sondern sich einfach ziellos die Gegend ansehen zu können. Irgendwie ist es mir als würde ich meine Heimatstadt zum ersten Mal seit sehr, sehr langer Zeit wirklich sehen. Von Ferne dämmert mir die Erinnerung an die Zeit, da ich spazieren ging, einfach so durch die Gassen, ziellos. Wie lange das wohl her ist?

Ich hatte wohl nicht erwarten können, dass der Bus vor der Haustür des Professors haltmacht, aber jetzt wird die Gegend immer unbekannter und das Gefühl im Magen immer flauer. Ich beschließe bei der nächsten Haltestelle auszusteigen Immer weiter weg scheint mich der Bus von meinem Ziel zu führen. Ich steige aus, und versuche mich zu orientieren. Wenn ich es richtig vermute, dann werde ich zu Fuß zumindest eine, wenn nicht gar zwei Stunden bis zum Haus des Professors gehen müssen. Oder sollte ich einfach umdrehen und es bleiben lassen? Nein, nicht so knapp vor dem Ziel resignieren. Woher meine Sicherheit kommt, da der Professor die Antwort auf meine Frage weiß? Er muss es einfach wissen! Ich klammere mich an diesen Gedanken wie der Ertrinkende an deinen Strohhalm. Ich gehe los. Außerdem ist zu Fuß gehen gesund. Als ich jedoch drei Stunden später beim Haus des Professors ankomme, frage ich mich, keuchend nach Luft schnappend, was an zu Fuß gehen so gesund sein kann. Ich bemitleide mich und meinen zerschundenen Körper.

Ich drücke die Klingel. Und was ist, wenn jetzt niemand zu Hause ist? Die Sekunden dehnen sich zu Ewigkeiten. Endlich ein Geräusch! Die Tür wird geöffnet, doch ich sehe niemanden. Instinktiv sehe ich nach unten. Da steht ein kleines Mädchen in der Türe, das mich heimtückisch ansieht, so heimtückisch wie mir meine Tochter heute in der Früh den Knurx zugeflüstert hat und mich dann einfach sitzen ließ. Ich mobilisiere meine letzten Kräfte, und frage höflich, „Ist vielleicht Dein Papi zu Hause?“

„Das kann ich Dir erst sagen, wenn Du mir sagst wer Du bist!“, fertigt sie mich hochnäsig ab. „Ich bin ein Bekannter Deines Vaters“, sage ich, „und ich komme in einer Angelegenheit, die von wahrhaft existenzieller Bedeutung ist.“, setze ich verzweifelt hinzu.

„Was heißt existentiell?“, fragt die Kleine, ohne sich auch nur im Geringsten aus der Ruhe bringen zu lassen. So eine dumme Frage, was heißt existentiell.  Das weiß ich doch jeder, was existentiell heißt, nur wie erkläre ich es ihr. Zu Hause steht der Laptop, und da drinnen Wikipedia. Ich habe eine grandiose Idee: „Wenn Du mir zeigst wo euer Lexikon steht, dann sage ich es Dir ganz genau.“, schlage ich ihr vor.

„Weißt Du es denn nicht selber?“, fragt sie unerbittlich weiter, und kann nicht unterlassen hinzuzufügen: „Mein Papi sagt immer, man soll keine Wörter benutzen, von denen man nicht weiß, was sie bedeuten.“ Diese Altklugheit beginnt mich wütend zu machen, doch ich muss ruhig bleiben, denn diese kleine Göre steht zwischen mir und meinem Ziel. Eine komische Situation. Bei meiner Tochter ist es normalerweise umgekehrt, da will sie von mir was. Insgeheim beschließe ich meiner Tochter nun öfter zumindest zuzuhören.

Aus: Alles ganz normal. Geschichten aus dem Leben


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