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Life is too short for boring stories

Eine Blume am Rand des Weges. Eine kleine unscheinbare Blume, die jemand gepflückt hatte, weil sie ihm gefiel. Dann hatte er sie eine Weile mitgenommen. Es war ihm zu viel geworden, wohl auch, weil sie die Kraft verlor und die Schönheit. Schließlich hatte er sie von ihren Wurzeln getrennt. Sie hörte auf ihm zu gefallen. Mehr noch, er wollte sie nicht länger tragen, auch nicht die Verantwortung für sein Handeln, da er sie einfach so gepflückt und mit sich genommen hatte. Deshalb warf er sie weg. Dann lag sie dort am Wegesrand, weil sie keine andere Wahl hatte. Niemand beachtete sie, während sie langsam vor sich hinwelkte, entwurzelt und heimatlos. Es gab einfach viel zu viele von ihnen. Es scheint uns so selbstverständlich. Pflücken und wegwerfen. Es ist nicht der Mühe eines Gedankens wert. Ist doch nur eine Blume. Nichts weiter als eine Blume.

Doch für diese Blume war er die Welt, er, der sie pflückte und mitnahm. Er hatte ihr keine Versprechungen gemacht, aber sie hatte dennoch daran geglaubt, weil er doch nicht so grausam sein konnte, dass er sie einfach pflückte und dann wegwarf. Sie hätte es noch nicht einmal dann geglaubt, wenn man ihr gezeigt hätte, wie viele Blumen gepflückt und weggeworfen worden waren, denn dann hätte sie gesagt, das wären andere gewesen, die eben so sind. Es gibt natürlich solche, die so sind, aber er wäre anders. Ihr würde das nicht passieren. Ganz bestimmt nicht. Und warum gerade ihr nicht? Was wäre so besonders an ihr oder an ihm, dass er sie nicht wegwerfen würde, nachdem sie anfing zu verblühen oder er einfach eine andere Blume fand, die ihn mehr ansprach, so dass er auf die in seiner Hand herabschaute und merkte, dass er eigentlich schon wieder genug von ihr hatte und die andere wollte? Nichts wäre Besonders oder Anders, aber dennoch würde er sie nicht einfach wegwerfen. Davon war sie überzeugt. Er hatte schließlich gewusst was er tat, als er sie gepflückt hatte. Sicher hatte er es gewusst, aber letztlich konnte es ihm egal sein, denn er fand eine neue Blume, so dass er sie trotz des Wissens wegwarf. Letztendlich war sie es, die weggeworfen am Straßenrand lag, unbeachtet, unbemerkt, während er die neue Blume ebenso behandelte. Doch das war kein Trost.

Die Blume, die am Straßenrand lag und langsam vor sich hinwelkte, ermattend, sterbend, ließ in sich die Zeit wieder aufleben, da er sich für sie entschieden hatte, die Zeit, da er sie gehalten hatte und ihr das Gefühl gab, sie beschützen zu wollen, weil sie nicht irgendeine Blume war unter vielen anderen, sondern eine besondere. Für ihn. Und mehr hatte sie auch nie gewollt. Sie dachte an die Zeit, da er sie trug und bewahrte, vor dem Wetter und den Unbilden des Lebens, so dass sie tatsächlich meinte, sie könnte ihm vertrauen. Anders als anderen. Die, die sie fortgeschickt hatte, denn schon öfter hatte man sie pflücken wollen. Dann hatte sie sich in sich eingezogen, so dass sie übersehen wurde. Wie einfach ist es doch die Aufmerksamkeit auf andere zu lenken. Und während alle anderen rund um sie bereits gepflückt waren, stand sie immer noch da. Dann kam er und sie ließ sich pflücken. Sie hatte daran geglaubt.

Die Blume lag am Wegrand und in ihren letzten Zügen, als ein lange verdrängtes Bild in ihr aufstieg, ein Bild, das sie verdrängt hatte, weil es weh tat. Eines Tages, da war sie gerade erst frisch erblüht, da war einer gekommen und hatte sich die Blumen angesehen. Eine hatte es ihm ganz besonders angetan. Immer wieder kam er vorbei und betrachtete diese eine Blume. Die anderen schien er gar nicht zu bemerken. Er pflückte sie jedoch nicht, sondern kam eines Tages mit einem Topf und einer Schaufel wieder. Vorsichtig grub er sie aus, so dass nicht einmal die feinste Wurzel verletzt wurde. Der Topf war mit nährstoffreichem Humus gefüllt, in den er sie bettete und vorsichtig das schwarze, satte Erdreich über ihren Wurzeln festigte. So nahm er sie mit, zu sich. Und eigentlich war es der einzige Weg eine Blume mitzunehmen. Alle anderen müssten schon im Moment des Pflückens wissen, dass sie eines Tages im Graben neben der Straße landen würden und dort liegen blieben. Weggeworfen.

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4 Gedanken zu “Weggeworfen

  1. Jeraph sagt:

    So eine schöne Parabel. Ich wollte, als ich das Ende noch nicht kannte, bemerken, dass es ja noch Wesen wie den kleinen Prinzen gibt, der seine eine Rose liebt, hegt und pflegt. Dein Ende gefällt mir aber sehr gut. Danke, für meinen Guten-Morgen-Artikel.

    Liebe Grüße
    Jeraph

    1. novels4utoo sagt:

      Ja, der Kleine Prinz begleitet mich schon seit Jahren und ich finde immer noch neue Aspekte. So spukte er mir wohl auch bei der Geschichte im Hinterkopf herum. Parabel – danke für diese Benennung. Und ich freue mich, dass sie gefallen hat.
      Liebe Grüße,
      Daniela

  2. Blume, Menschentier – Frau, Mann, Mädchen, Junge oder Blume, Tier – Katze, Hund, Kaninchen, Taube, etc…
    Der Umgang der meisten Menschen mit dem, was ihnen gefällt, ist nicht nur gedankenlos, er ist verantwortungslos.
    Eine Ausrede ist immer parat: „ist ja nur…“, „die Natur macht das schon…“, „soll sich nicht so anstellen…“, „nicht lebenswert…“, „schlechte Qualität…“, „ich bin stärker…“
    …und wir, die dies durchschauen und eigentlich ja nicht wollen – wir tappen immer wieder in die selbe Struktur und machen es genauso, immer wieder.
    Doch wir wollen lernen und es besser machen. unermüdlich an uns arbeiten, damit wir uns eines Tages auch selber gefallen können.

    Danke für den Text.

    1. novels4utoo sagt:

      Liebste Nadine! Danke für diese großartige Interpretation. Ich hätte es nicht besser sagen können, und vor allem, Du hast mich so verstanden wie ich es intendiert hatte. Das ist das schönste Kompliment.
      Offen und zugänglich und lernbereit, nicht perfekt, sondern auf dem Weg, und das zu sehen ist wichtig.
      Danke Dir.

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