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Life is too short for boring stories

Ich sitze am Boden, weil ich gerne am Boden sitze. Früher, ganz, ganz früher verspürte ich den Drang in mir mich zu erklären.

„Du sagst, Du möchtest mit beiden Beinen fest am Boden stehen“, meinte ich dann, „Ich tue noch mehr, ich sitze fest am Boden. Das gibt mehr Haftung.“ Das war meine Erklärung, die zwar nicht unbedingt verstanden wurde, aber zumindest insofern akzeptiert wurde, weil es eben doch den Charakter einer Erklärung hatte. Immerhin. Dass ich deshalb nicht mehr Bodenhaftung hatte, das musste ich nicht dazu sagen. Mit der war es sowieso so eine Sache. Ich fand sie nicht wirklich. Nie. Bemüht habe ich mich schon, aber es war wohl der Mühe zu wenig. Oder der Ernsthaftigkeit. Dann kamen die Kinder und ich brauchte nichts mehr zu erklären, weil ich bei ihnen am Boden blieb. Sie wurden groß und ich saß immer noch am liebsten am Boden. Nur, dass ich nichts mehr erklärte. Natürlich sitze ich nicht überall am Boden. Aber hier in meinem Lieblingsantiquariat, wo man mich kennt, auch meine Vorliebe, wo keiner fragt, da mache ich es. Ab und an stolpert wer über mich, aber das kann mich nicht davon abbringen.

Ich sitze am Boden, umgeben von Bücherregalen, die bis an die Decke reichen und auf mich wie die Wände eine Höhle wirken, in der ich mich verstecken kann und mich sicher fühle. Dabei habe ich meine ganz eigene Strategie entwickelt Bücher zu finden, die mir gefallen könnten. Sorgsam umschiffe ich den Bestsellermarkt, denn sobald ich wusste wie Bestseller gemacht werden, sah ich keinen Sinn mehr darin auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Es gibt so viele unbekannte Autorinnen, die vielleicht ein oder zwei Bücher in ihrem Leben herausgebracht haben und niemals wirklich die Aufmerksamkeit bekamen, die sie verdienten, zumindest in meinen Augen. Kleinode finden sich darunter, wenn man nur gut genug hinsieht. Zugegebenermaßen sind meine Auswahlkriterien ein wenig seltsam. So lasse ich mich natürlich vom Titel leiten und vom Cover, den paar Zeilen auf der Rückseite. Aber auch ein bisschen vom Namen. Irische Namen mag ich. Und isländische. Auch das sehr willkürlich, aber ein bisschen was muss es doch ausmachen, wenn man auf einer Insel großgeworden ist, entweder inmitten von Schafen oder von heißen Quellen. Bei zweiterer noch dazu mit sechs Monaten Dunkelhaft. Und ich gehe danach wie sehr das Buch gelesen wurde. Woran ich das erkenne? An den Kerben am Buchrücken, am Zustand der Seiten. Da sind Dinge unterstrichen, Anmerkungen gemacht worden, mit Bleistift, so dass ich an den Gedanken meiner Vorleserin teilhaben kann. Es hat etwas Verbindendes. Und Bücher sind dazu da gelesen zu werden, meine ich. Das soll man sehen. Wie bei einem Menschen.

Ein Buch ist zum Lesen da. Ein Mensch ist zum Leben da. Einem Buch soll man es ansehen, dass es gelesen wurde. Einem Menschen soll man es ansehen, dass er lebt. Das Feuer in den Augen, das nicht verlöscht. Das Lächeln auf den Lippen, wenn er eingedenk wird, dass das Leben doch was Schönes ist. Das Buch in Händen, das ihm Geschichten schenkt. Der Menschen sich zu erinnern, mit denen man diese Geschichten teilen kann.

Gerade nahm ich ein Buch aus dem Regal, ein schmales, mit einem schwarzen Stoffeinband. Der Titel und der Name des Autors waren mit Hand darauf geschrieben, als hätte jemand nachträglich das Buch in Stoff verpackt, sorgfältig und sauber, in guter Handwerksmanier und den Titel auf diesen geschrieben. Die Autorin trug den Namen Niamh O’Reilly. Irischer ging es kaum mehr. Aber der Titel tat es mir ebenso an. „Wer liebt, der tut es“. Es wirkte wie ein Aufruf, so dass ich aufstand, das Buch kaufte und schnell nach Hause eilte. Ein rascher Blick auf die Uhr ließ mich aufatmen. Ich hatte noch eine halbe Stunde Zeit, bevor Du kommen würdest. Rasch richtete ich Brötchen und Kuchen und Tee, denn ich wusste, dass Du Dich freuen würdest. Und wie kann ich meine Liebe besser tun, als indem ich Dir Freude bereite. Wenn es sich für Dich nicht nur an der Hausnummer und der Straße zeigt, dass Du nach Hause kommst, sondern es sich auch danach anfühlt, willkommen und angenommen zu sein. Und vielleicht würden wir das Buch miteinander lesen. Denn Liebe ist nur dort, wo man sie tut, und sei es indem man gemeinsam ein Buch liest mit dem Titel „Wer liebt, der tut es.“

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2 Gedanken zu “Wer liebt, der tut es

  1. Juergen‘s sagt:

    Sehr schön geschrieben. Danke 🍀

    1. novels4utoo sagt:

      Ich danke! Das freut mich sehr.

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