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Life is too short for boring stories

Ich war es gewohnt, und wie ich vernahm, nicht nur ich, indirekt zu sagen was ich will. Es gehört sich eben nicht, speziell für Mädchen, direkt auszudrücken was sie möchten. Deshalb verklausuliert man. Schließlich möchte man niemanden mit seinen Wünschen unter Druck setzen. So versteckt man und geht davon aus, dass der andere versteht was man meint.

So sagte ich,
„Es wäre schön …“
„Ich würde mir wünschen …“
„Es wäre mir ein Vergnügen …“
„Ich hätte gerne …“
und ähnliches. Du hast es gehört, und nicht einmal weggesehen vom Fernseher. Könnte, wäre, würde, hätte, das ist eine Möglichkeit. Nicht mehr. Das ist nicht ernst gemeint. Das kann man getrost ignorieren. Es nützt nicht.
„Frauen möchten wählen, bitte“, sagten die Suffragetten.
„Wir möchten unsere Freiheit“, sagten die Sklav*innen.
„Wir wünschen uns bessere Arbeitsbedingungen“, sagten die Arbeiter*innen.
Möchten, wünschen, das könnt ihr schon. Vielleicht wurde es zur Kenntnis genommen – und ad acta gelegt.

Nichts passierte und konnte auch nicht. Man muss es nicht ernst nehmen. Es ist nicht ernst zu nehmen. Es stört die Ruhe nicht. Es ist etwas, das im Raum schwebt und da ist. Wie ein Staubflankerl. Vielleicht vertreibt man es. Aber es war ernst gemeint. Verdammt ernst. Höflich und zurückhaltend zu sein, ist vielleicht das erzieherische Ideal. Bringt einen aber nicht weiter.

So fragte ich mich, was habe ich falsch gemacht. Und die Suffragetten. Und die Sklav*innen. Und die Arbeiter*innen. Ich werde nicht ernst genommen. Dabei bin ich ein Mensch wie Du, der einfach tut was er will. So wie die Männer in der Regierung, die eine politische Teilhabe verweigern. So wie die Besitzer*innen der Slavinnen, die alles so beibehalten wollen wie es ist und nicht einsehen, dass alle Menschen das gleiche Recht auf Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben haben. So wie die Arbeitgeber*innen, die kein Interesse an besseren Arbeitsbedingungen haben. Zunächst bin ich traurig, weil ich als Mensch in meinen Bedürfnissen nicht ernst genommen werde, weil ich ignoriert und nach hinten gesetzt werde. Der Traurigkeit folgt die Wut, eine alles umfassende Wut. Ich möchte um mich schlagen, auf mich aufmerksam machen, nicht länger zurückstehen, hinter was auch immer. Doch ich bleibe in meiner Ecke, weil ich nicht weiß was ich tun soll, wie es ausdrücken. Langsam stehe ich auf. Ich werde mir meiner selbst bewusst, indem ich mich groß mache, Raum einnehme und weiß, dass ich da bin und ein Recht habe auf diesen Raum, so wie Du.

„Ich …“, höre ich mich sagen. Du hörst es mich sagen. Im ersten Moment irritiert. Ein einfaches kleines Wort mit drei Buchstaben, und es klingt wie eine Kampfansage. Doch ich höre nicht auf, weil es sich richtig anhört. Dieses Ich am Anfang, das sich eigentlich nicht gehört.
„Ich will …“. Da ist es, das eigentliche.
„Ich will, sagen können was ich will, nein, ich werde es sagen, ich sage es.“
„Ich will, dass Du mich ernst nimmst.“
„Ich will, dass Du mich hörst.“
„Ich will nicht länger still sein müssen und verklausuliert reden, sondern laut und deutlich sagen was ich will.“
„Ich will …“, und zum ersten Mal siehst Du auf und mich an. Erschrocken, vielleicht eingeschüchtert.
„Das hättest Du doch gleich sagen können“, meintest Du. Ich habe es immer schon gesagt. Ich merke, dass ich plötzlich ernst genommen werde. Und die Suffragetten haben es gemerkt. Und die Sklav*innen haben es gemerkt. Und die Arbeiter*innen haben es gemerkt.
„Ihr hättet es doch nur sagen müssen. Man muss doch nicht gleich so aggressiv werden“, war der Tenor, nachdem das Wahlrecht da war, auch für Frauen, nachdem die Sklav*innen befreit waren, nachdem die Arbeiter*innen ihre Rechte erfochten hatten.
„Niemand hat uns ernst genommen“, war die schlichte Antwort.

Lieb und nett und brav, das ist zwar erwünscht, bringt Dich aber nicht weiter.

„Ich will …“, sag es, wenn es Dir wirklich wichtig ist, und sag es laut und deutlich. Wenn nötig schrei es in die Welt und lass Dich nicht davon irritieren, dass die anderen sagen, es ist nicht notwendig aggressiv zu sein. Wenn sie Dich angreifen und beschimpfen. Niemand will eine Veränderung, vor allem die nicht, die sich die Welt so eingerichtet haben. Wenn Du etwas willst, musst Du es einfordern. Doch wenn Du es nicht tust, wenn Du Dich immer in Deinen Winkel zurückschicken lässt, dann kannst Du vielleicht träumen von Veränderung, aber sie fliegt Dir nicht zu.
„Ich will, dass die Welt ein besserer Ort ist.“
„Ich will, dass die Welt für meine Kinder erhalten bleibt.“
„Ich will, dass wir gemeinsam aufhören die Erde auszubeuten, um unserer selbst willen, Wälder hinzumetzeln, Rohstoffe auszubeuten, alles mit Müll zuzupflastern.“
„Ich will, dass die Ausbeutung und diese Art des destruktiven Kapitalismus ein Ende haben.“

Und sie werden Dich bekämpfen, einsperren, entmündigen, aber so lange Du sagst, „Ich will …“ haben sie Dich nicht zum Schweigen gebracht. Du bist der Stachel im Fleisch. Du bist der ewige Makel. Und es ist der Moment, in dem Du beginnst die Welt zu verändern.

Aus: Leben & leben lassen. Geschichten von Veganismus und Aktivismus

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