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Life is too short for boring stories

Als ich an jenem Morgen, dem Morgen des Weihnachtstages, erwachte, plagten mich heftige Kopfschmerzen. Es war mir, als wäre ich gegen einen Türpfosten gerannt, so sehr schmerzte diese eine Stelle an der Stirn. Als ich sie betastete, bemerkte ich auch eine recht imposante Beule, die wie der Ansatz eines Horns mitten auf meiner Stirn prangte. Mühsam setzte ich mich auf. Und fand mich alleine. Wo waren Jesus und Maria? Die Sonnenstrahlen fielen satt und nüchtern durch die Fenster. Wie es ihnen im Dezember gebührt. Doch da war niemand. Alles war still um mich. Selbst die Hunde waren nicht da. Was war da los? Dann erst bemerkte ich, dass auch das Haus nicht stimmte. Ich war ganz gewiss nicht in God’s Cottage in Irland, sondern irgendwo anders, aber wo?

Langsam richtete ich mich auf und sah mich um. Die Erinnerung kam wieder und damit das Erstaunen. Der Raum, in dem ich mich befand, war der, den ich zu Hause nannte. Seltsam, wie war ich hierhergekommen, ohne dass ich es bemerkt hatte? Deshalb legte ich mich wieder hin und schloss die Augen. Ich hatte die letzten Tage mit Jesus und Maria verbracht, so mein Dafürhalten, und natürlich mit den Hunden. Wir hatten gelacht und gescherzt, aber auch diskutiert und analysiert. Wir hatten Tee getrunken. Wie man das so macht in Irland. Auch an die ausgedehnten Spaziergänge erinnerte ich mich und an das Feuer im Kamin. Unvermittelt öffnete ich die Augen und sah in die Richtung, in der der Kamin in unserem Haus war. Da brannte tatsächlich ein Feuer, und ich konnte mich beim besten Willen nicht daran erinnern, es entzündet zu haben. Was war bloß los? Was war geschehen? Es war nicht zu greifen, nur dass ich mich schwach fühlte, von was auch immer, das war offensichtlich. Wiederum lies ich mich in die Kissen zurücksinken, auf der Couch im Wohnzimmer, auf der ich mich niedergelegt hatte. Nicht einmal davon wusste ich etwas. Vielleicht sollte ich einfach liegenbleiben und warten was passiert. Vielleicht würde irgendjemand kommen und es mir erklären, irgendwann.

 

Da wurde plötzlich und völlig unvermutet die Türe aufgestoßen. Es war die Eingangstüre. Ein Schwall kalter Luft wehte die Ankommenden herein. Mich erreichte nur mehr ein kleiner Teil, aber er ließ mich abschätzen, dass es sehr kalt draußen sein musste. Der Sturm tobte und, wie ich mich durch einen Blick durchs Fenster vergewisserte, wirbelte er die Schneeflocken durcheinander, die eigentlich sanft und wiegend vom Himmel fallen wollten. Er ließ es nicht zu.

 

Stimmen gesellten sich zu den stapfenden Füßen. Schuhe wurde abgeklopft und ausgezogen, Mäntel oder Jacken aufgehängt. Ich vernahm ihr Lachen. Ausgelassenheit und fröhliche Stimmung schien zu herrschen. Dann kamen die Neuankömmlinge herein und zu mir.

„Hallo Mama!“, sagten sie, unisono, meine Kinder.

„Hallo ihr zwei“, erwiderte ich matt.

„Geht es Dir wieder besser?“, fragte meine Tochter, während sie meine Beule interessiert musterte.

„Ich denke schon“, meinte ich, ein wenig unsicher, „Aber was ist passiert.“

„Nichts wirklich Aufregendes“, entgegnete mein Sohn, „Du bist nur gegen den Türstock gelaufen und hast Dir offenbar schlimm den Kopf gestoßen. Aber nachdem Du ansonsten in Ordnung warst, haben wir Dich hier auf die Couch gelegt.“

„Und ich dachte, ich wäre in Irland gewesen, in God’s Cottage, der aber nicht da war, ich meine Gott, aber dafür Jesus und Maria, mit denen ich die Tage des Advents verbrachte“, erzählte ich plötzlich, „Wir haben auch vier Hunde gerettet.“

„Du hast immer so interessante Träume“, sagte meine Tochter völlig ungerührt, wohl, weil sie mich schon eine gute Weile kannte, „Soll ich uns Tee machen?“

„Gerne“, antwortete mein Sohn, um sich mir zuzuwenden, „Und warum warst Du dort?“

„Ich war so frustriert über die Vorkommnisse in der Welt und dem Konsumwahn um mich, und all diesen Dingen, Du weißt schon, was eben so alles schief läuft, dass ich mir dachte, wie könne man in einer solchen Welt Weihnachten feiern. Das ist doch eigentlich eine Farce“, fasste ich meine damaligen Überlegungen zusammen, „Deshalb beschloss ich den Sinn von Weihnachten zu suchen. Eigentlich gedachte ich meine Suche kurz zu halten. Und wer könnte mir besser Auskunft erteilen als Gott selbst. Deshalb fuhr ich hin, Gott zu fragen was denn der Sinn von Weihnachten wäre.“

„Und er hat es Dir verraten?“, mischte sich meine Tochter ein, die von der Küche aus offenbar aufmerksam zugehört hatte.

„Nein, er war ja nicht da, bloß Jesus“, erwiderte ich.

„Jetzt sei keine Spaßverderberin“, warf meine Tochter ein, „Jesus ist auch Gott, wie wir alle gelernt haben, Dreifaltigkeit und so.“

„Eh, aber Gott Vater kommt doch immer als ein anderes Kaliber herüber“, meinte ich nachdenklich.

„Wie auch immer, wir wollen jetzt keinen theologischen Diskurs anstrengen, schon gar nicht über die Dreifaltigkeit“, unterbrach mein Sohn, „Aber hast Du von Jesus eine Antwort bekommen?“

„Nun nicht direkt, aber wir haben sie gemeinsam gefunden“, erklärte ich, während ich die Ereignisse der letzten Tage rekapitulierte, „Von allen Seiten näherten wir uns der Frage an, und kamen zu einer einzigen Conclusio, immer zu dieser einzigen.“

 

„Wollen wir uns zum Kamin setzen?“, fragte meine Tochter, und ohne eine wirkliche Antwort abzuwarten, platzierte sie Tee und Kekse auf dem Kuschelplatz vor dem Feuer. Da erst bemerkte ich, dass ein Duft in der Luft lag, ein Duft, der mich an meine Kindheit erinnerte, der Duft nach Orangen und Zimt, Nelken und Wachs, der Duft von Weihnachten. In der Ecke stand ein Weihnachtsbaum. Unser künstlicher Weihnachtsbaum, den wir seit vielen Jahren hatten. Er war damals ein Kompromiss gewesen, weil wir uns einig waren, dass wir keine Bäume mehr töten wollten, aber die Kinder legten dennoch Wert auf einen Baum. So kam dieser ins Haus und würde uns wohl noch viele Jahre gute Dienste leisten.

„Habt ihr den Baum geschmückt?“, fragte ich.

„Natürlich“, antwortete meine Tochter, „Wir haben auch gekocht und eingekauft, während es die Frau Mutter vorzog, ohnmächtig auf der Couch zu liegen und uns die ganze Arbeit machen zu lassen.“

„Das tut mir so leid“, sagte ich automatisch, aber auch, weil es mir wirklich leid tat, „Ich hätte das so gerne gemacht, mit Euch.“

„Jetzt sei doch nicht immer so todernst“, entgegnete mein Sohn lachend, „Erstens einmal hast Du das sowieso, viele, viele Jahre lang …“

„ … weil ich es gern tat und weil wir immer viel Spaß miteinander hatten …“, musste ich einfach einwerfen.

„Das wissen wir alles, aber was ist denn dabei, wenn wir das einmal machen?“, fragte nun meine Tochter, „Und glaub mir, wir hatten auch eine Menge Spaß dabei. Stimmt’s Bruderherz?“ Und damit stupste sie ihren Bruder spielerisch in die Seite.

„Ja, das hatten wir“, bestätigte er, „Aber Du hast uns immer noch nicht verraten was Du herausgefunden hast über den Sinn von Weihnachten.“, nahm der den Gesprächsfaden von vorhin wieder auf.

„Der Sinn von Weihnachten ist das Leben zu leben, geleitet von der Liebe, die Liebe lebendig zu gestalten und sie den Antrieb sein lassen für das was wir in der Welt wirken und bewirken“, fasste ich zusammen, „Der Sinn von Weihnachten ist lebendige Liebe, liebendes Leben, wie zwei Rosensträucher, die sich unentwirrbar ineinander verwoben haben, so sollen das Leben und die Liebe sein. Und mit der Ankunft des Jesuskindes, mit der Geburt, mit diesem Symbol für Neubeginn wird deutlich, dass man jeden Tag damit anfangen kann, dass es nicht zu spät ist.“

„Weihnachten ist also Tee trinken und plaudern und Kekse essen und miteinander sein und lachen und sich verstehen“, ergänzte meine Tochter.

„Wärme und Geborgenheit und der Duft nach Orangen und Zimt, Nelken und Kerzen“, fügte mein Sohn hinzu.

„Also im Grunde genommen das, was wir hier machen“, meinte meine Tochter, „Genau das kann es sein. Und ja, ich dachte mir das auch schon oft. Es ist nicht wichtig was für Geschenke unter dem Baum liegen oder wie viel man hat, so lange man dieses Miteinander friedlich und freudvoll lebt.“

 

Und es war der Moment, in dem mir bewusst wurde wie reich ich beschenkt war und bin, weil es genau das war, was wir schon seit Jahren machten, das Miteinander in Friede und Freude, lebendige Liebe, liebendes Leben. Trotz des Schmerzes über all die Ungerechtigkeit und Lieblosigkeit, die nach wie vor in der Welt herrschte, auch an Weihnachten. Trotz aller Einsichten, es konnte auch ganz anders sein, so dass die Botschaft von Weihnachten einen Sinn hatte. Spontan umarmte ich meine Kinder.

„Frohe Weihnachten!“, wünschte ich ihnen.

„Die haben wir“, bestätigten sie mir, während das Feuer im Kamin fleißig prasselte. Es war gut, so wie es war. Es war Weihnachten wie es sein sollte.

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2 Gedanken zu “Auf der Suche nach dem Sinn von Weihnachten (24): Wie es sein soll

  1. Frohe Weihnachten liebe Daniela
    Bis Bald mal wieder

    1. novels4utoo sagt:

      Das wünsche ich Dir auch, liebe Nadine. Und lass es Dir gut gehen.

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