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Life is too short for boring stories

„Hallo Onkel“, eröffnete Christian das Gespräch, „Darf ich Dir eine Freundin von mir vorstellen?“ Statt einer Antwort, erhob sich die Gestalt, von der sie bis jetzt nur den Hinterkopf hatten sehen können, und den nur umrisshaft, nachdem das Zimmer nur von dem Licht erhellt wurde, das von den Aquarien ausging, schwerfällig von der Couch. Martinique erschrak ob der ausladenden Leibesfülle. Mindestens 120 kg bei einem Mann, der nicht größer war als sie selbst. Doch das war noch nicht das Schlimmste. Es war vielmehr die Resignation in einem Leben mit einer putzwütigen Frau, zurückgezogen in ein Kammerl, in dem er Fische in sein Leiden mit hineinzog. Gefangene im Aquarium. Gefangener im Kammerl. Nur, dass der Mensch es sich ausgesucht hatte. Kurz sah der Onkel Martinique an, die sich fragte, ob er wohl auch einen Namen hatte. Dann ließ er sich wieder in die Couch fallen, als hätte ihn alleine das Aufstehen all seiner Kräfte beraubt.

„Was willst Du hier?“, fragte der Onkel unvermittelt.

„Dich besuchen“, war Christians knappe Antwort.

„Und warum hast Du jemanden mitgebracht?“, setzte der Onkel unerbittlich nach, als wäre Martinique gar nicht da und sie würden über jemanden reden, der weit weg war.

„Weil sie gerade bei mir war“, war die kurze Erklärung.

„Mögen Sie keine fremden Menschen?“, mischte sich nun Martinique ins Gespräch ein, weil sie nicht anders konnte. Ein finsterer Blick traf sie, als wäre es unverfroren sich in dieses Gespräch einzumischen.

„Nein, ich mag Menschen nicht, wie Du weißt“, erklärte der Onkel, der dennoch nicht mit Martinique, sondern mit Christian sprach, „Ich liebe Tiere, aber ich mag Menschen nicht. Und mach die Türe zu, dass dieses gottverdammte Katzenvieh nicht hereinkommt.“ Folgsam schloss Christian die Türe. Martinique war es, als wäre ihr damit der letzte Ausweg versperrt worden und sie wäre nun für immer in diesem Alptraum gefangen.

„Sind Schweine keine Tiere?“, konnte sie sich dennoch nicht enthalten zu fragen.

„Warum sollen Schweine keine Tiere sein?“, fragte der Onkel irritiert, derart, dass er sogar darauf zu vergessen haben schien, dass er gar nicht mit ihr reden wollte.

„Weil Sie gerade gesagt haben, dass Sie Tiere lieben, und dennoch essen Sie Schweine, also sind Schweine keine Tiere. Wen man liebt, den frisst man nicht“, erklärte Martinique, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt – und für sie war es das auch.

„Junge Dame, offenbar haben Sie keine Ahnung vom Leben“, erklärte der Onkel gereizt, „Schweine sind nun mal dazu da, dass wir sie essen. So ist das in der Natur. Sie werden geboren und geschlachtet, und wir essen sie. So hat jeder seinen Platz in der Nahrungskette.“

„Und wie ist es mit Fischen, sind das auch keine Tiere?“, fragte Martinique weiter, „Denn wenn Sie Tiere tatsächlich liebten und Fische Tiere sind, dann würden Sie sie nicht gefangen halten.“

„Ich gebe diesen armen Kreaturen ein Heim, in dem sie alles haben, was sie brauchen, nur keinen Stress“, erklärte der Onkel rundheraus, „Draußen in der Natur, da sind sie Fressfeinden schutzlos ausgeliefert, ganz abgesehen von der Umweltverschmutzung, dem Dreck, der in den Flüssen und Meeren landet. Ich liebe sie, und deshalb rette ich sie vor diesem schrecklichen Leben dort draußen. Dafür bin ich der Herr, der das alles erschafft. Ich bin der Herr des Ozeans.“

„Der liebe Gott persönlich“, setzte Martinique süffisant hinzu, doch das schien dem Onkel gar nicht aufzufallen, denn er sprach unbeirrt weiter.

„Du musst nur mal schauen wie glücklich die Fische sind“, sagte der Onkel, während er auf die Qualbecken wies, „Immerzu schwimmen sie munter im Kreis herum, und ich bin immer für sie da.“

 

Martinique sah es tatsächlich. Immer und immer wieder schwammen sie im Kreis, manche von ihnen. Rast- und ruhelos. Den ewig gleichen Weg, weil es keinen anderen gab. Diese Art der Haltung führte bei ihnen bereits zu Fehlfunktionen im Gehirn, weil sie nicht in der Lage waren sich an die Bedingungen anzupassen. So gut diese Fähigkeit zur Anpassung auch ausgeprägt sein mochte, die Gefangenschaft in einem viel zu kleinen Käfig, überstieg diese. Stereotype, wie der Affe sie entwickelt, der auf einem Ast sitzt und sich immer vor und zurück wiegt. Weil es sonst nichts zu tun gibt. Andere hatten gänzlich aufgegeben und ließen sich nur mehr treiben. Resignation. Stillstand. So wie die Menschen. Der Mann im Kammerl. Die Frau in der Küche. Der Mann fixiert auf seine Gefangenen. Die Frau gehetzt von jedem Stäubchen. Und dennoch dachte dieser Mann, „Ich bin der Herr des Ozeans.“

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2 Gedanken zu “Ohn-macht (24): Der Herr des Ozeans

  1. Nadine Hoffmann-Voigt sagt:

    Danke, Deine “Ohnmacht”-Folgen sprechen für sich. Ich gebe die Links immer gerne weiter.

    1. novels4utoo sagt:

      Vielen lieben Dank dafür. Es ist gut, verstanden zu werden.

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