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Life is too short for boring stories

„Alles gut, das war doch nur ein Traum“, versuchte Christian Martinique zu beruhigen, die bei der Erinnerung daran am ganzen Leib zu zittern begann, während er sie desto inniger in seine Arme zog, „Was ist denn passiert?“

„Eigentlich nichts Besonderes“, antwortete Martinique, nachdem sie sich wieder gefasst hatte, „Sogar was ganz Alltägliches. Ein großes Schleppnetz, das über den Meeresgrund gezogen wird und alles mitnimmt, was nicht niet- und nagelfest ist. Riesengroße Netze, aus denen es kein Entrinnen gibt. Aber das wusste die Meerjungfrau bis dahin noch nicht. Sie dachte wohl, dass man sich nur vor räuberischen Tieren in Acht nehmen muss, deshalb hatte sie so etwas auch nicht voraussehen können. Wie ein riesiges Ungetüm, das alles verschlingt, das ihm vors Maul kommt.“

„Und das Ungetüm hat sie verschluckt?“ fragte Christian.

„Unsere kleine, unschuldige, neugierige und abenteuerlustige Meerjungfrau war also kopfüber in solch ein Schleppnetz geraten. Sie versuchte sich frei zu strampeln, doch umso mehr sie sich bewegte, desto fester zogen sich die Schlingen um sie, bis sie völlig bewegungsunfähig war“, fuhr Martinique zu erzählen fort, „Erschöpft hielt sie inne. Sie wusste, dass sie sich befreien musste, nur nicht wie. Unzählige Fische teilten ihr Schicksal. Wie der kleine Blobfisch, der, nichts Böses ahnend, im Sand vergraben liegt und wartet, bis seine Beute nahe genug vorbeischwimmt.

O-Fisch9

Das Netz wird über den Meeresgrund gezogen und nimmt einfach alles mit. Was es hinterlässt ist eine Unterwasserwüste, als wäre alles Leben mit einem Schlag ausgelöscht worden. Wer sich nicht schnell genug in Sicherheit bringen kann, ist unwiederbringlich verloren. Entweder zerquetscht von all den anderen Mitgefangenen oder lebendig aus dem Wasser gezogen, ans Deck eines Schiffes. Dort werden allerdings nur die Lebewesen behalten, für die es eine offizielle Fangerlaubnis gibt. Alles andere wandert zurück ins Wasser, tot oder lebendig. Auf eine Tonne Fisch, die gefangen werden soll, kommen drei Tonnen Beifang, wie das euphemistisch genannt wird. Lebender Abfall. Und es wird gemacht, obwohl so viele Ressourcen unnötig verschwendet werden, obwohl es ökologischer Wahnsinn ist. Weil es praktisch ist. Aber nicht nur Fische verfangen sich im Netz, auch mitunter große Meeressäugetiere, Delphine, sogar Wale, die dann, wenn es ihnen nicht rechtzeitig gelingt sich zu befreien, ertrinken. Was für ein makabrer Tot. Und die, denen es gelingt sich zu befreien, die tragen oft schwere Verletzungen davon. Als wäre das Leben nichts wert.“

„Und in solch einem Netz hatte sich unsere kleine Meerjungfrau verheddert?“, fragte Christian nach, „Hat sie sich befreien können?“

„Ihr wäre es wohl nicht gelungen, aber sie hatte nochmals großes Glück, denn der ansehnliche Meerjungmann, der ihr gefolgt war, um sie wieder zurückzubringen, war besonnener als sie“, fuhr Martinique zu erzählen fort, „Deshalb hatte er die Gefahr auch früher erkannt als sie. Nun beobachtete er zunächst was geschah, besah sich auch das Netz ganz genau. Die Zeit drängte. Das Netz wurde langsam weitergezogen, und mit jedem Meter füllte es sich mehr mit unschuldigen Meeresbewohnern. Dennoch wollte er es richtig machen, und schwamm das Netz entlang, bis er zu dessen Anfang gelangte. Dort schnitt er es einfach ab. Damit konnte er nicht nur die kleine dickköpfige, aufmüpfige Meerjungfrau befreien, sondern auch alle anderen Mitgefangenen.“

„Und hat die kleine Meerjungfrau ihre Lektion gelernt?“, fragte Christian.

„Das kommt drauf an, was man darunter versteht“, meinte Martinique abwägend, „Sie schwamm auf jeden Fall schnurstracks zu ihrem Vater, Poseidon, dem Gott es Meeres, und erzählte ihm von ihren Erlebnissen. Ihre Geschichte schloss mit dem dringenden Appell an ihn, dieses Vorgehen so schnell wie möglich zu unterbinden.“

„Doch er konnte nicht, denn die Menschen lassen sich von nichts und niemanden von diesem mörderischen Vorgehen abhalten, nicht einmal von einem Gott. Prometheus hat offensichtlich ganze Arbeit geleistet. Menschen brauchen keine Götter mehr“, sagte Christian.

„Als wenn Götter die Menschen je von irgendetwas abgehalten hätten“, gab Martinique zu bedenken, „Mehr noch, die Menschen spannten und spannen die Götter dafür ein, dass sie ihre makabren Machenschaften rechtfertigen. So kann keiner widersprechen.“

„Macht Euch die Erde untertan, und alles was darin kreucht und fleucht“, wiederholte Christian einen der bekanntesten Sätze aus der Bibel, „Das haben die Menschen gründlich befolgt. Ist doch sehr praktisch, wenn Menschen ein Buch schreiben, es für heilig erklären, ja zur Offenbarung, damit sie das rechtfertigen, wofür es sonst keine Rechtfertigung geben könnte.“

„Götter dienen den Menschen dazu, keine Erklärungen mehr zu brauchen. Für nichts sonst“, meinte Martinique nachdenklich, „So braucht man sich auch keine Gedanken mehr zu machen, nicht über Haie, die gefangen werden, nur um ihnen die Flosse für die delikate Suppe abzuschneiden, sie dann wieder lebendig ins Meer zu werfen, nicht über die Meeresschildkröten, die aus demselben Zweck gefangen und getötet werden, und auch nicht über all die Millionen Fische, die als Gefangene in kleinsten Aquarien, ihr Dasein fristen. Götter sind doch etwas überaus Praktisches.“

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