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Life is too short for boring stories

Wenn ich nicht mit beiden Beinen fest am Boden wäre, dann, so dachte ich, und denke ich wohl bis zu einem gewissen Grade noch immer, dann, ja dann, kann ich nicht bestimmen in welche Richtung es geht und ich habe keine Kontrolle mehr. Und die Kontrolle aufzugeben, das bedeutet das Heft aus der Hand zu geben. Das Heft aus der Hand zu geben, das führt unweigerlich dazu, dass ich mein Leben verliere, die Bestimmung und die Ausrichtung. Zumindest den Teil, den ich bestimmen und ausrichten kann. Es ist schwer abzuschätzen wie groß dieser ist, ich war bereit ihn bis zum letzten zu verteidigen. Nicht nur das, ich würde selbst den Anfängen wehren. Es genügt nur der Anflug einer Ahnung eine solche Richtung einzuschlagen, dass ich mich schon völlig im Aus sah. Und was würde dann aus meiner Selbständigkeit, meiner Selbstbestimmtheit? Wäre es nicht ein Verrat am Feminismus, und all den Altvorderen, denen ich es schulde standhaft zu bleiben, weil sie es durch ihren Einsatz und Kampf erst ermöglichten, dass ich diese Möglichkeiten habe? Würde es nicht bedeuten sie zu verraten? Verraten an eine Bequemlichkeit, die ich mir nicht leisten kann.

Wenn ich mich abwende vom Selbst tun und an dessen Stelle ein Lassen setze, egal ob ein einlassen, zulassen, verlassen, auch nur stehen lassen, dann überlasse ich die Handlungsgewalt jemand anderem, außerhalb von mir, dann, so dachte ich, und denke ich wohl bis zu einem gewissen Grad noch immer, dann, ja dann bin ich halt- und rettungslos verloren. Ich habe nichts mehr zu sagen, darf mich nicht mehr einmischen und das Geschehen wird von mir unbeeinflussbar, jegliches. Die Verantwortung und die Last, die ich trage, weil ich ohne sie ausgeliefert bin, ausgeliefert an Willkür und Herrschaft. Da trage ich lieber, bevor ich jemanden über mich und mein Leben bestimmen lasse. Und wäre es nicht ein Verrat an mir selbst, da ich über all die Jahre diese Position erarbeitet hatte, bis ich ernst genommen wurde, auch in meinem Eigen-Sein und darin meine Wünsche, Ziele, Hoffnungen und Träume zu verwirklichen? Wäre es nicht eine Vendetta gegen meine eigene Entwicklung? Ich hätte Dir geraten es mir nicht einmal vorzuschlagen. Und wenn Du mich fasst, dann werde ich mich so lange winden, bis Du mich freigeben musst, frei zu mir selbst.

 

Wenn ich, so dachte ich immer automatisch, und denke ich bis zu einem gewissen Grad noch immer, wenn ich, dann, ja dann. Aber statt das ja dann wiederzufinden, fandest Du mich und botst mir an, mich zu halten, einfach so. Und ich war müde, so unendlich müde, vom stark sein und selbständig sein und auch davon mich für alles verantwortlich zu fühlen, auch für jene, die diese Stärke nicht haben. Deshalb wohl, und nur deshalb konnte ich mich zum ersten Mal zu einem Lassen durchringen. Oder war es einfach, weil ich nicht mehr anders konnte. In diesem Moment, so dass Du mich aufhobst, auf Deine Arme. Einen Moment noch versuchte ich mich zu wehren, aber es war kaum wahrnehmbar. Und Du lenktest Deine Schritte tatsächlich dorthin, wo Du es wolltest. Ich fühlte die Verunsicherung, aber auch den Schmerz, der von mir abfiel, da Du fortgingst, und ich mich dabei ertappte, dass ich meine Arme um Deinen Hals legte und die Augen schloss, um Dich einfach zu lassen. Einlassen auf was immer es bringen mochte, zulassen, dass Du mich hältst und behütest und schützt, verlassen, dass Du achtsam sein würdest. Und als Du mich absetztest, wieder, da sah ich mich um, an einem Ort, den ich ohne Dich nicht gefunden hätte, da mein Sichtfeld alleine zu eingeschränkt war und der es doch wert war besucht zu werden. Ich merkte, dass ich dem Boden noch immer so fest verbunden war wie zuvor, ohne die Kontrolle verloren zu haben, nur, dass ich meine Schritte leichter setzte. Entlastet und gestärkt fühlte ich mich, weil Du mich auf- und annahmst, und im Loslassen neu erdetest.

 

Wenn ich, so weiß ich jetzt, lerne mich halten zu lassen, stärke ich meinen eigenen Halt in mir, denn durch Dich werde ich mehr, immer mehr als ich für mich je sein könnte.

Aus: Geschichten über die Liebe und andere Absonderlichkeiten

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